Was macht ein
Kulturmanager? Prof. Dr. Thomas Girst im Interview
06.04.2025
Autor: Ruben Schmitt*
BMW x Art Basel 2024 | Photo:
Enes Kucevic © BMW AG
Prof.
Dr. Thomas Girst ist Global Head of Cultural Engagement der BMW Group. Er
studierte Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik an der Universität
Hamburg und der New York University. Während seines Aufenthalts in New York
zwischen 1995 und 2003 war Girst Leiter des Art Science Research Laboratory
unter der Leitung von Stephen Jay Gould von der Harvard University. Während
dieser Zeit war er auch Kulturkorrespondent und Kolumnist der deutschen
Tageszeitung (taz). Heute ist Herr Girst zudem Dozent an verschiedenen
internationalen Universitäten und Akademien. Als Kurator hat er zahlreiche
Ausstellungen organisiert, darunter „Alive and Kicking: the Collages of Charles
Henri Ford“ in New York und „Marcel Duchamp in München 1912“. Im Jahr 2016
wurde Herr Girst mit dem Preis „Europäischer Kulturmanager des Jahres“
ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zuletzt
erschienen u.a.: „The Duchamp Dictionary“ (2014) „Art, Literature, and the
Japanese American Internment“ (2015), „100 Secrets of the Art World“ (2016),
„Alle Zeit der Welt“ (2019) und „Esther Mahlangu: To Paint is in my Heart“
(2024).
Was macht ein
Kulturmanager?
Ruben: Lieber Thomas, vielen Dank für deine
Einladung. Es freut uns sehr, dass du dir heute Zeit nimmst uns über dich und
das Kulturmanagement zu erzählen. Direkt gefragt: Was macht ein Kulturmanager
und wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Thomas: Das frage ich mich jeden Tag, was ein
Kulturmanager eigentlich macht. Vor allem weil es wohl keinen typischen
Arbeitstag gibt, sondern der Arbeitstag natürlich geleitet ist von Teams
Meetings, die Kolleg*innen aus der ganzen Welt einstellen. Ich verantworte das
Kulturengagement weltweit in den Headquarters in München und wir verstehen uns
letztlich als Dienstleister für die Kolleg*innen in der ganzen Welt, die sich
kulturell engagieren wollen.
Wenn man sich im Sportbereich engagieren will, ist das
wunderbar, ich spiele die Dinge nicht gegeneinander aus, dann ist es glaube ich
relativ klar, für wie viel Geld ein Logo auf dem Trikot von welchem Sportler
wie lange prangt. Während das im Kulturbereich natürlich eher ein Bereich ist,
in dem man die Sensibilitäten kennen sollte. In dem dann aber letztlich auch
viel mehr für die Visibilität, die Reputation und das Image der BMW Group erreicht
werden kann, mit weniger Mitteln als das in anderen Bereichen der Fall ist. Das
heißt einerseits geht es um die weltweite Realisierung von kulturellen
Veranstaltungen, ob das Opernhäuser sind oder Kunstmessen, das ist relativ
breit gestreut. Sowie darum, dass dies im Sinne einer „One-Voice-Communication“
innerhalb der vorgegebenen Strategien der BMW Group geschieht. Und andererseits
geht es aufgrund unseres Budgets, das vor allem in bestehenden Verträgen seine
Ausgaben wiederfindet, darum, dass diese Kooperationen, die in unserer
Verantwortung laufen, funktionieren.
Das heißt, wir laden Journalist*innen ein, wir arbeiten mit
Event-, PR- und Handling-Agenturen an Pressemitteilungen, an möglichst breit
gefächerter Berichterstattung und natürlich daran, dass die Veranstaltungen erfolgreich
laufen. Erfolgreich laufen heißt erfolgreich für die BMW Group, wobei ich immer
sage, dass die Subtilität des Auftritts von der Sophistication des Förderers spricht. Hier geht es weniger darum, in einem Logofriedhof Präsenz zu zeigen,
als darum wirklich Dinge zu schaffen, die auch für den Betrachter, die
Betrachterin, den Zuhörer, die Zuhörerin von Erkenntnisgewinn geprägt sein
können. Das wäre jetzt mal eine komplexe Antwort auf eine sehr knappe Frage.
Aber ich habe noch nicht mal angefangen, die Spitze des Eisbergs zu beschreiben.
Ruben: Was reizt dich denn ganz persönlich an
der Kunst? Warum hast du dich dafür entschieden, dein Leben der Kunst zu
widmen und warum tust du das ausgerechnet als Kulturmanager?
Thomas: Meine Begeisterung, Leidenschaft und
tiefe Liebe zur Kultur und vor allem zur Kunst und zur Literatur, die sich auch
in meinem Studium widerspiegelt, setzte irgendwann mit 12 oder 13 Jahren ein.
Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, das davon geprägt war, dass meine
Eltern, die von wenig, um nicht zu sagen von nichts kamen, wenngleich privilegiert
als in Europa tätige Menschen, nicht so viel Zeit hatten, ihr kulturelles
Interesse zu kultivieren. Das heißt, das wurde mir nicht schon im Elternhaus
vorgelebt, obwohl meine Eltern jetzt natürlich in ihrer verdienten Ruhezeit
sich sehr um Kunst und Kultur bemühen und darin auch eine Erfüllung sehen.
Es gibt für alle immer irgendein Aha-Erlebnis. Mein Aha-Erlebnis
war die Sichtung von Katalogen und Büchern von und über Salvador Dalí in
der Bibliothek meiner immer noch über alles geliebten und geschätzten
Patentante in Köln. Und das war die Einstiegsdroge und ich kam nicht mehr los.
Ich könnte womöglich in anderen Bereichen unterwegs sein, aber das wollte ich
nicht. Das Leben hat etwas damit zu tun, wo es Resonanz gibt. Resonanz kann mit
Menschen stattfinden und Resonanz kann stattfinden mit Kunstwerken und Partituren,
die man hört. Und für mich ist die Kultur und Kunstwelt das Zeugnis davon, was
Menschen Schönes auf diesem Planeten kreieren können. Das ist es, was mich
reizt. Es reizt mich daran teilzuhaben, Studierende zu lehren, selber zu
schreiben, wie ich es etwa als Kunsthistoriker in meinen Büchern tue. Aber auch
an der Funktion des Kulturmanagers hat mich etwas gereizt, das mich am
Akademischen und insbesondere in den Geisteswissenschaften gestört hat, was zum
Teil auch, glaube ich, heute mit dem freien Fall der Geisteswissenschaften zu
tun hat, was mir in der Seele weh tut, nämlich die Tatsache, dass man oft, ich
sage immer mit einem „Diskursvokabular-Phrasen-Dreschmaschinentum“, die
Tür von innen zugestemmt hat. Es hat mich wirklich genervt, während dem Studium
und auch nach dem Studium, sodass ich keine akademische Karriere eingeschlagen
habe, sondern immer auch mit meinem kunsthistorischen Schreiben versucht habe
Menschen zu erreichen, versucht habe den „Red-Tape“ um Kunstgeschichte herum
aufzulösen, der eigentlich allen Menschen, die womöglich daran interessiert
sind, manchmal versucht einzutrichtern, dass man erst eine gewisse Grundbildung
haben müsse, um sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Das ist das Schlimmste, was
passieren kann. Ich sage oft, Kunstgeschichte ist der Versuch der
Objektivierung eines subjektiven Eindrucks. Natürlich ist es ein hartes,
herausforderndes Studium und man lernt sehr viel dabei. Aber ich finde, gerade
wir sind keine Hirnchirurgen in den Geistwissenschaften. Wir können und wir
sollten so viele Menschen wie möglich erreichen, ohne die Komplexität der
Themen zu verwässern. Im Gegenteil, man kann einen Anspruch formulieren und
Kunst, von der man wirklich etwas hat, ist die Kunst, die einen im Innersten
angeht und um die man sich auch bemüht. Erkenntnisgewinn ist dann am größten,
wenn man wirklich auch viel gibt, wenn man viel Arbeit in etwas setzt.
Informationen können wir durch Social Media und unsere Smartphones sofort haben
– „it is at our fingertips.“ Aber Wissen ist etwas, das man sich hart
erarbeiten muss. Und wenn ich für ein großes Unternehmen genau da ansetzen und
genau da etwas tun und schaffen kann, ist das das größte Privileg und der
schönste Job.
Das Kulturmanagement der
BMW Group und die Zukunft von Kunst und Kulturmanagement
Ruben: Ich kann auf jeden Fall die
Begeisterung in deiner Stimme hören und hoffe, die Leser können ebenfalls deine
Begeisterung an deinen Worten nachvollziehen. Du hast es schon angesprochen, du
machst das Ganze für die BMW-Gruppe. Das Kulturmanagement der BMW-Gruppe
erschreckt sich über viele Bereiche, etwa zu klassischer Musik und Jazz, zu
Architektur und Design und eben auch zu moderner und zeitgenössischer Kunst.
Mit einem eurer Engagements im Bereich klassischer Musik hatten sicherlich
viele unserer Mitglieder*innen und Jurastudierende der Humboldt Universität zu
Berlin bereits Berührungspunkte. Denn als Nachbarn der Staatsoper Unter den
Linden, direkt am Bebelplatz gelegen, hört man seit einigen Sommern Klänge und
sieht große Aufbauten für das Projekt Oper für alle. Worum handelt es
sich denn dabei?
Oper für Alle 2014 | © BMW AG
Thomas: Ich finde es wunderbar, dass du
zumindest im Prinzip von guter Nachbarschaft sprichst, denn es geht uns natürlich
um die Wirkungsstätte des Bebelplatzes und damit auch darum die Nachbarn
abzuholen, die natürlich immer eingeladen sind, mit dabei zu sein, wenn es
wieder heißt, Oper für alle. Oper für alle ist ein Projekt, das exemplarisch
ist und mittlerweile als Best Practice gelebt wird, zum Beispiel am Anfang
diesen Jahres in Melbourne auf dem Federation Square oder in Kooperation mit
dem London Symphony Orchestra auf dem Trafalgar Square. Seinen Ausgang nahm das
hier in München bei der Bayerischen Staatsoper. Oper für alle ist der Gedanke,
dass Oper, die Hochkultur, was manchmal auch als elitär unterstellt wird, für
alle zugänglich wird. Es ist eine 400 Jahre alte Kunst- und Kulturform, die
ausstirbt, sobald keine Menschen mehr Lust darauf haben, einer Oper zu
lauschen. Was kann man Besseres tun, als dieses Erlebnis umsonst und kostenfrei
einem breiten Publikum zugänglich zu machen? In einer Picknick-Atmosphäre, wo
Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern mitbringen – hunderttausende von
Leuten, seitdem das seit über einem Jahrzehnt läuft, die wir damit hoffentlich
froh durch den Alltag gehen lassen haben. Es ist ja mittlerweile ein kaum
wegzudenkendes Event im Kulturkalender der Stadt Berlin, aber es formuliert
eben auch einen
Anspruch darauf, dass es im Kulturmanagement eines Unternehmens
nicht nur darum gehen kann, die Zielgruppen passgenau zu erreichen, also im
Fall von BMW Autos zu verkaufen. Das will ich überhaupt nicht schmälern, das
ist unser Kerngeschäft. Wenngleich Milton Friedman in den 1960er Jahren mal
gesagt hat, „the only business of business is business“, geht es jedoch
heute in der öffentlichen Wahrnehmung darum, was gibt ein Unternehmen zurück an
die Gesellschaft, innerhalb derer es erfolgreich wirtschaftet? Es geht darum,
dass mit einem Erfolg auch eine Verantwortung einhergeht, auch eine soziale,
gesellschaftliche Verantwortung. Und diese Corporate Citizenship, wie
sich die BMW-Gruppe verhalten würde, wenn sie ein Mensch wäre, geht im
Kulturengagement einher mit dem Versuch des Erreichens der Zielgruppen,
Customer Relations Management und Brandbuilding. Im Bestfall ist das ein Spagat
unserer Formate, die beides zusammenbringen. Oper für alle tut das auch, Zehntausende
auf dem Bebelplatz können kostenfrei die Oper genießen und gleichzeitig laden
wir Gäste ein, es gibt einen Excellence Club, da sind die 7er-Kunden drin
vereint, es gibt ein Dinner mit der Oper, dem Intendanten, dem Dirigenten, den
Sängern, der ersten Geige etc. und anderen wichtigen Meinungsbildnern und VIPs,
das in dem Fall im Apollosaal der Staatsoper gefeiert wird. Also wie gesagt,
das ist ein Projekt, das exemplarisch für unseren Anspruch des
Kulturengagements, Erreichen von Zielgruppen einerseits, aber auch
Wahrnehmungen einer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung andererseits,
steht.
Ruben: Vielen, vielen Dank. Heute soll es aber
vor allem um eure Aktivitäten in der modernen und zeitgenössischen Kunst
gehen, da dies die Bereiche sind, an denen wir auch selbst besonders
interessiert sind. Eines eurer bekanntesten Projekte ist die „BMW
Art Car Collection“, die dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. In deren Rahmen haben bereits 20 bekannte Künstler*innen, wie Andy Warhol, David
Hockney, Ólafur Elíasson oder Jeff Koons, Automobile zu Kunstwerken
umgestaltet. Wie kam es dazu und ist es gelungen, so hochkarätige
Künstler*innen von der Idee zu überzeugen, ein Auto zu designen?
BMW Art-Car Collection | © Enes
Kucevic
Thomas: Als ich mit den BMW Art-Cars noch nichts
zu tun hatte und in New York als Kulturkorrespondent für die taz und am Art
Science Research Laboratory, eine non-profit-Organisation, die die
Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft unter der Leitung von
Harvard-Professor Steven Jay Gould untersucht hat, gearbeitet habe, hielt ich
die BMW-Art-Cars für das schlechteste Beispiel dafür, wie man als
Unternehmen versuchen kann, sich in die Kunst „hineinzuwanzen“. Also
im Sinne von „Werfe Geld auf einen Künstler, Künstler wirft Farbe auf
ein Auto, Auto wird vom Industrie- zum Kunstobjekt.“
Nicht aufgrund des Corporate Brainwash, sondern aufgrund der
Tatsache, dass ich mich mit der Historie der BMW-Art-Cars im Rahmen meiner
Verantwortung für die BMW-Art-Cars als globaler Leiter des Kultur-Organismus
der BMW-Gruppe auseinandergesetzt habe, stellte ich schnell fest, dass diese
Idee nicht entstanden ist, weil PR- und Marketingleute an einem Tisch
zusammensaßen und darüber nachdachten, wie kriegen wir die Marke BMW möglichst
bekannt positioniert in dem wichtigen Kunstumfeld, sondern dass die Idee
entstanden ist, und da sind wir auch wieder bei der Leidenschaft, der Passion
und der Liebe letztlich für Kunst und Kultur, am Race Track von Le Mans,
dem größten Endurance Race der Welt. – Der seit den 1910er Jahren letztlich
wichtigsten Größe im Rennsport neben der Formel 1.
Und da waren nun Hervé Poulain, immer noch CEO von Artcurial
Auction House, damals begeisterter Rennwagenfahrer und eben jemand, der
viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler kannte und Jochen Neerpasch,
unser Gründer und damaliger Direktor von BMW Motorsport. Sie saßen am Race
Track nebeneinander und Hervé Poulain wollte für die Flotte von BMW 1975 in Le
Mans fahren und schlug vor, dass Alexander Calder, der kurze Zeit später
verstarb, den BMW 3.0 CSL zum Art-Car gestaltet. Und keiner dachte damals, dass
sich das fortsetzen würde. Als das Ding aber aus dem Pitstop fuhr, Kinder
begeistert winkten und das Fahrzeug zum Publikumsliebling wurde, dachte man,
mein Gott, man hat hier vielleicht was Tolles erschaffen.
BMW Art-Car by Alexander Calder
| Photo: Enes Kucevic © BMW AG
Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit Mobilität
auseinander seit der Erfindung des Automobils in den 1880er Jahren. Mit den BMW
Art-Cars haben wir eine wunderbare Reihe ins Leben gerufen, in der
Künstlerinnen und Künstler sich auch kritisch mit dem Thema auseinandersetzen. Als
Luxusunternehmen, wie die BMW Group eines ist, kann man sich natürlich immer dem
Bling-Bling anheimgeben, das von innen hohl ist. Mir geht es aber um die
Bedeutung und die Erkenntnis. Ich wundere mich selbst darüber, wie ein
Unternehmen, dass ja keine kulturelle Institution ist, sondern
Automobilhersteller, der versucht möglichst wunderbar designte und zuverlässig
gebaute Automobile an Mann und Frau zu bringen, wie es diesem
Automobilhersteller gelingt über einen Zeitraum von 50 Jahren so gute
Künstlerinnen und Künstler in diese Reihe hineinzubekommen. Und da ich die
Verantwortung für die Art-Cars von Ólafur Elíasson, Cao Fei, John
Baldessari, Jeff Koons und jetzt zuletzt Julie Mehretu trage,
ist das ein „pas de deux“, es ist ein Tanz der beginnt, es ist
Überzeugungsarbeit, es ist zum Teil aber auch der Wunsch der Künstlerinnen und
Künstler, wie bei Jeff Koons beispielsweise, zu dem Pantheon derjenigen
Künstlerinnen und Künstler zu gehören, die er selber so bewundert. Er wollte
unbedingt zu einer Reihe beitragen, zu der seine Idole Andy Warhol und Roy
Lichtenstein schon 40 Jahre zuvor beigetragen hatten. Andere interessieren
andere Dinge: Baldessari wollte unbedingt außerhalb von Museen seine Relevanz
ausbreiten und gesehen werden, also lieber auf dem Race Track als in der
nächsten Ausstellung. Julie Mehretu kreiert nicht nur ein Auto, sondern auch
eine Reihe von panafrikanischen Workshops zum Thema Film, die jetzt nach dem
Renneinsatz des Autos und nach der Weltpremiere im Centre Pompidou 2025
und 2026 greifen. Ólafur Elíasson setzt sich kritisch mit dem Thema globale
Erwärmung und CO2-Ausstoß auseinander mit unserem H2R-Hitrogen-Car aus dem Jahr
2006. Das heißt die Künstlerinnen und Künstler sind frei darin zu gestalten,
was und wie sie es wollen. Wenn das Auto rennen fährt, sollten sie natürlich
nichts mit der Aerodynamik oder dem Gewicht veranstalten, dass die Chancen
verschlechtert, das Rennen zu gewinnen. Aber die Achtung der Freiheit der
Künstler ist für uns eines der höchsten Güter überhaupt. Die Künstlerinnen und
Künstler werden auch ausgewählt von einer internationalen Jury. Das
hilft mit Sicherheit, wenn wichtige Leute im internationalen Museumsbetrieb
diejenigen sind und nicht wir. So sieht das „in a nutshell“ aus bezüglich des
Auswahlprozesses und der Genealogie dieser wunderbaren Reihe seit nunmehr 50
Jahren.
BMW Art-Car by Ólafur Elíasson
© BMW AG
Ruben: Du hast soeben beschrieben, dass jeder
Künstler seinen ganz eigenen Zugang findet zu den Art-Cars, ob das jetzt der
Take auf den Klimawandel ist von Ólafur oder Cao Fei, die ein Art-Car
geschaffen hat, das in Vollendung nur durch eine Augmented-Reality-App
erfahrbar ist. Wie siehst du die Weiterentwicklung der Art-Car Serie in den
nächsten Jahren und welche Bedeutung, gerade wenn man den Ansatz von Cao Fei
bedenkt, spielen dabei neue Technologien? Und wie war es mit all diesen
Künstler*innen eng an eng zusammenzuarbeiten, was ist dir dabei in persönlicher
Hinsicht in Erinnerung geblieben?
Thomas: Also neben der Herausforderung meiner
Tätigkeit und neben dem Privileg, das ich ja bereits benannte, ist natürlich
eines der schönsten Dinge meiner Tätigkeit die langfristige Zusammenarbeit mit
Künstlerinnen und Künstlern, die mit zu den wichtigsten und bedeutendsten der
Gegenwart gehören. Und dass eine Reihe von BMW Art-Cars natürlich nicht
irgendwo in der Zeit gefangen bleiben kann, dahingehend, dass Kunst etwas ist,
das durch Pinselstriche entsteht, ist natürlich auch klar. Die Zeit verändert
sich und so veränderten sich auch die Technologien, die Künstlerinnen und
Künstler verwenden, wenn es darum geht, ihren Visionen einen visuellen Auftritt
zu geben. Wir sind als Unternehmen natürlich an Hightech interessiert. Wir sind
Automobilhersteller, aber wir sehen uns auch ganz klar als
Technologieunternehmen. Die Auseinandersetzung mit neuen Medien und Hightech
ist natürlich für unsere Ingenieure und Designer, die an der Mobilität der
Gegenwart und der Zukunft arbeiten, ebenso wie für das Kulturmanagement von
Interesse. Schon vor fünf Jahren haben wir mit entsprechenden Agenturen und Künstler*innen
„The Ultimate AI Masterpiece“ erschaffen, als es darum ging, ein
Automobil als Leinwand mit Projektionen zu bespielen, die sich AI-generiert bewegt
haben. Da waren wir vorne dran. Wir haben einen Führungsanspruch im Bereich der
Kunst und Kultur und ich lerne viel von den Künstlerinnen und Künstlern. Ob ich
dann selbst ein Buch schreibe über Esther Mahlangu, Ndebele-Künstlerin,
die in Südafrika jetzt auf einmal mit 90 die internationale Bekanntheit
erfährt, die ihr eigentlich schon seit Jahrzehnten zusteht. Wenn ich die mit Hans
Ulrich Obrist und Azu Nwagbogu interviewe, drei Tage lang in ihrem
Dorf außerhalb von Johannesburg, ist das natürlich für mich fast wie eine
Begegnung mit Yoda, weil diese Dame fast nur Weisheiten von sich gibt und
nebenbei noch eine fantastische Künstlerin ist, die es geschafft hat, entgegen
allen Widerständen als Frau in Südafrika während der Apartheid ihre Kunst zu
schaffen und es erreicht hat, dass diese von der Welt gesehen wird. Ob Rihanna,
Oprah Winfrey, Pharrell, Trevor Noah, Swizz Beatz oder Alicia Keys, die alle
sind begeistert von ihrer Kunst und sammeln sie.
Thomas Girst, Azu Nwagbogu, Esther Mahlangu and Hans Ulrich Obrist | Photo:
Ant Churchyard (c) BMW AG
Ob ich mich mit Ólafur Elíasson auseinandersetze, der auch
ein Buch schafft, um über die Zukunft des Automobils nachzudenken, das dann
wiederum unser Chefdesigner zur Pflichtlektüre für seine hunderten Designer bei
BMW macht. Es ist ein wahrer
Dialog: „We don't only talk the talk – we walk the walk.“
John Baldessari zu umarmen, der glaube ich zwei Meter
zehn war, mit Jeff Koons abends beim Dinner zu sitzen, der einem
wirklich wunderbare Dinge sagt, die einen fürs Leben prägen, Leitsprüche, zum
Beispiel der, dass wir alle Gewinner sind auf diesem Planeten, weil wir den
größten Wettbewerb, den wir jemals erlebt haben, der schon im Mutterleib
stattfindet, gewonnen haben. Jeder einzelne Mensch ist ein Gewinner, weil wir
es schon geschafft haben die größte Konkurrenz, den größten Wettbewerb für uns
zu entscheiden, bevor wir überhaupt geboren wurden. Das finde ich herrlich, so
einen Ausblick auf unsere Mitmenschen und so einen Ausblick auf sich selbst. Gerade
in Zeiten, wo man vielleicht mal an sich zweifelt, was ja immer der Fall sein
sollte, denn so kommt man voran.
Oder auch mit Julie Mehretu, die genauso alt ist wie
ich, auch über viele private Dinge zu sprechen. Das sind Dinge, die einen sehr
bereichern. Vor allem weil das Menschen sind, die nicht von ungefähr dort sind,
wo sie sind. Und das ist jedes Mal ein großes Geschenk, dieser tiefe Austausch
mit den Künstlerinnen und Künstlern der Art-Car-Reihe.
Ruben: Für ein technologieaffines und
naturgemäß nah an der Ingenieurskunst liegendes Unternehmen wie BMW, ist
sicherlich diese Verschränkung von Technologie und Kunst, die jetzt mit den neuen
Medien immer stärker voranschreitet, auch irgendwie eine willkommene Einladung,
weil das ja gut zu dem Zukunftsanspruch, immer an das Speerspitze von
Technologie mit dabei zu sein, gut passt. In diesem Kontext finde ich aber ein
Zitat, was du mal gemacht hast, sehr spannend, und zwar, du sagtest mehrfach,
dass du NFTs, also non-fungible-tokens, deine eigene Definition
„neoliberal-futile-trash“ gegeben hast. Und da hat sich mir die Frage gestellt,
wie kam es dazu und wie beurteilst du, welche Technologie für die bildende
Kunst von Wert ist und welche nicht?
Thomas: Maurizio Cattelan hat mal
gesagt, wonach er bei Kunst schaut, ist ein „sense of urgency“. Wenn ich
ein „sense of fame“ und ein „sense of money making“ sehe, dann kräuseln
sich mir schon die Nackenhaare. Viele Künstlerinnen und Künstler sind dort,
weil sie denken, sie können Geld machen oder sie wollen berühmt werden. Der
Kunstmarkt ist ein 60 Milliarden Euro Markt, das ist ein bisschen über ein
Drittel dessen, was BMW als Unternehmen im Jahr als Umsatz macht. Es ist ein
kleiner, es ist ein unregulierter, aber es ist ein Markt. Es ist ein Markt
indem nur einer von 100 Künstlerinnen und Künstlern, das sage ich immer, wenn
ich die Akademie-Künstler*innen lehre, von ihrer Kunst leben kann. Bei NFTs hat
mich das vor allem auf den Kunstmessen aufgeregt. Es ging weniger um die Kunst,
es ging weniger um die Ästhetik, es ging um Geld. Das ist etwas, was mich
stört, denn auch wenn es nur ein 60 Milliarden Euro Markt ist, ist wahrscheinlich
die Lyrik weltweit ein 500 Millionen oder 100 Millionen Euro Markt. Also in den
verschiedenen Ausrichtungen von Kultur ist sehr viel Geld in der Kunst, das
führt zwangsweise zu sehr viel schlechter, schnell produzierter Kunst. Ich
möchte Tiefenergründungen sehen, ich möchte Dinge sehen, die sich Zeit nehmen. Ich
habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass ich in der Zeit des
Algorithmus für Serendipität argumentiere und in der Zeit des Shortcuts für den
Umweg. Ich möchte Künstlerinnen und Künstler sehen, die sich mit einer
gewissen Ernsthaftigkeit mit Dingen auseinandersetzen. Ich meine, wer hatte am
Ende Recht mit neoliberal-futile-trash? Guck dir an, wo die NFTs alle hin sind.
Wie hießen sie noch, diese Happy-, Banana-, Monkeys oder was auch immer. Wie
viel sind die jetzt wert? – Nothing. Ich hätte mich gefreut, hätte jemand
vorher die Warnung gesehen, die ich in meiner Auflösung dieses Akronyms
betrieben habe. Hito Steyerl hat einmal gesagt, alle reden über
künstliche Intelligenz, aber keiner redet über künstliche Dummheit. Mir ist
wichtig, dass man in der Kunst und Kultur AI nur als Werkzeug und maximal als
Material sieht, aber nicht als Ziel in sich selbst. Das ist dort, wo sich die
Kunst dann auch verrennt, die sich zum Sklaven der Technologie macht. Ich
möchte sehen, dass man diese Technologie beherrscht und Dinge schafft, die
bislang noch nicht geschaffen worden sind. Diesen sense of urgency möchte ich
sehen! Und ich sehe eben gerade in diesem Bereich der neuen Technologien, weil
so viele Dinge jetzt auch möglich sind, für alle möglichen Menschen, die damit
einhergehende Demokratisierung, die zu begrüßen ist. Aber die Nivellierung
dessen, was ich als Anspruch für Kunst, für mich selbst formuliere, die ist für
mich erschreckend.
Ruben: Wenn ich dich richtig verstehe, dann
war das NFT deiner Meinung nach eine fehlgeratene Entwicklung der Kunst in der
zunehmend technologisierten Welt.
Du gibst aber dennoch zu erkennen, dass du mit Zuversicht in
eine Zukunft schaust, in der Kunst und Technologie produktiv miteinander
koexistieren und interagieren können. In diesem Kontext möchte ich auch wieder
auf ein Zitat zurückkommen: Udo Kittelmann stellt in dem von Magnus
Resch und dir herausgegeben Buch „100 Secrets of the Art World“ die These auf,
dass „die bildende Kunst ihr Limit erreichen wird, da die Magie verloren gehen
wird“. Was ist damit gemeint und warum hat Udo Kittelmann einen so anderen
Blick in die Zukunft, als du es hast?
Thomas: Ich hätte jetzt gerade nach der Hälfte
deiner Ausführungen selbst angefangen Udo Kittelmann zu zitieren. Ich bin froh,
dass du ihn als „preemptive strike“ schon vorab erwähnst. Ich kann nicht anders
als positiv und voller Optimismus in die Zukunft blicken. Vor allem, weil ich
ein Alter erreicht habe, wo man ja meist mit der jüngeren Generation schon
hadert, weil man sie nicht mehr versteht. Zum Glück tut man das noch, weil man
eigene Kinder hat. Und andererseits habe ich meine Doktorarbeit über Kunst
und Literatur in japanischen und amerikanischen Internierungslagern zur Zeit
des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Ich weiß, aufgrund meiner tiefen
Auseinandersetzung damit, und andere sind mit Sicherheit zu derselben
Erkenntnis über andere Wege gekommen, dass Kunst und Kultur essentielle
Ausdrucksformen des Menschen sind. Und selbst wenn kein Euro mehr, beispielsweise
anstatt der in Deutschland 14 Milliarden Euro in die Kultur gehen würde, dieses
Horrorszenario will ich gar nicht ausmalen, da hängen hunderttausende Jobs
dran, würde es die Kunst trotzdem weiterhin geben. Und die hat es gegeben schon
vor 50.000 Jahren in den Höhlen unserer behaarten Vorfahren. Die gibt es, wenn
Menschen zu Unrecht interniert werden, wenn um sie herum Zensur, Propaganda und
Manipulation herrscht, oder es noch nicht mal Materialien gibt. Dann gibt es
dennoch Ausformungen von Kunst über ein Stück Holz, das man in der Wüste
findet. Das will ich weder despektierlich verstanden wissen, noch im Sinne
eines Horrorszenarios, sondern im Sinne des Weiterlebens von Kunst als
essentielle, ureigene Ausdrucksform des Menschen, in welcher Weise auch immer. Egal
wie die Parameter drum herum sind, die Kunst bahnt sich ihren Weg. Das ist
meine Hoffnung und mein Wissen und daraus nährt sich mein Optimismus. Das ist
einerseits der Punkt.
Und zweitens haben sich Künstlerinnen und Künstler immer mit
den neuesten Errungenschaften der Technologie auseinandergesetzt. Wir hätten
keine Zentralperspektive in der Renaissance oder die Kamera Obscura in der
Kunst des goldenen Zeitalters des 17. Jahrhunderts in Holland, wenn das Fernglas
nicht erfunden worden wäre. Diese Dinge würde es nicht geben, ohne die heute
natürlich fast schon belächelten Errungenschaften dessen, was damals Hightech
war. In vorsokratischer Zeit gab es ein Wort für Dinge, die in der
Wissenschaft, Technologie und in der Kunst passieren, nämlich „téchnē.“
Das ist derselbe Ursprung. Diese permeable Membran zwischen Kunst, Ausdruck und
neuesten Technologien ist total spannend. Sie ist das, was interessiert. Es
sind die neuen Werkzeuge, die man auf einmal hat und nicht mehr nur der
Pinselfarbkasten. Schafft das bessere Kunst? - No fucking way. Ich finde die
Kunst nicht deswegen besser, aber irgendetwas wird mit Sicherheit bleiben. Und
Menschen, die sich mit großer Ernsthaftigkeit damit auseinandersetzen, werden
auch die nächsten wichtigen immersiven Kunstwerke schaffen.
Vielleicht ist es gleichsam interessant, dass diejenigen,
die die neuen Käuferschichten ansprechen, die sich dann auf digitale Kunst oder
NFT spezialisieren, dass die auf einmal feststellen, dass es auch Ölgemälde
gibt und total geflasht sind von der Könnerschaft dessen, was wir heute gar
nicht mehr so gut können. Es gibt Errungenschaften der Menschheit, die
vielleicht im 16. Jahrhundert „gepeakt“ sind. Buchmalerei, das muss man
sich mit Lupen heute anschauen, um zu erkennen mit welchen Einhaarpinseln
damals gemalt wurde. Das würde heute niemand mehr hinbekommen. Und deshalb bin
ich gespannt und voller Neugier, was diese neuen Quantensprünge in der
Technologie wirklich für die Kunst bereithalten und umgekehrt.
Ruben: Vielen, vielen Dank. Die BMW Group
fördert auch viele andere Projekte im Bereich der modernen und zeitgenössischen
Kunst. Wir haben jetzt schon über die BMW Art-Cars gesprochen, ein bisschen
über Kunst und die Zukunft philosophiert und eingangs über euer Projekt Oper
für alle gesprochen. Darüber hinaus veröffentlicht ihr seit 2012 den „BMW Art
Guide by Independent Collectors“, ihr seid Partner des Preises der
Nationalgalerie für junge Kunst, ihr ermöglicht seit 2015 in Kooperation mit
der Art Basel ausgewählten Künstler*innen Recherchereisen (BMW Art Journeys)
und ihr ladet seit 2017 im Rahmen von BMW Open Work by Frieze alljährlich eine
Künstler*in ein, ein visionäres Projekt zu erschaffen, das BMW Design, Technik
und Ingenieurskunst kombiniert, nur um einige zu nennen. Ohne sich jetzt in den
Details zu verlieren, welche Strategie verbirgt sich hinter der Auswahl von
Kunst- und Kulturprojekten, dieses, man muss ja mittlerweile sagen, Portfolios
an Institutionen und Events, die ihr fördert.
Thomas: Wir sprechen tatsächlich auch intern
von Portfolio. Es ist so, ich kriege 2.000 Anfragen im Jahr und je mehr man
natürlich im Kulturbereich tut, um so mehr Anfragen kommen auch auf einen zu.
Es ist essenziell, dass man als Unternehmen eine Strategie aufstellt, auch in
Bereichen außerhalb des Kerngeschäfts, die sozusagen die Werte widerspiegelt,
die für uns in unserem Ureigenen, nämlich der BMW-Group als Automobilersteller,
relevant sind. Alles andere wäre wenig glaubwürdig und authentisch. Dann geht
es auch darum, dass man nicht von Event zu Event springt, sondern langfristig
Kulturinstitutionen begleitet und langfristige Kooperationen eingeht. Der Begriff
der Co-Creation, des „X“ zwischen Jeff Koons X BMW etc., ist wichtig
geworden.
THE 8 X JEFF KOONS. Limited
edition of the BMW M850i xDrive Gran Coupé, designed by Jeff Koons | (c) BMW AG
Portfolio, Blumenstrauß, Facetten, was auch immer man sagen
möchte, die müssen strategisch fundiert sein und das sind sie bei uns. Wobei
wir sehr unternehmensstrategisch unterwegs sind, indem wir auch die Parameter
vorgeben, innerhalb derer Kulturengagements möglich sind. Wir haben über die
BMW Art-Cars gesprochen, die sind natürlich sehr nah am Kerngeschäft dran. Da
spielt das Auto immer eine Rolle und wir werden natürlich auch immer in der
Berichterstattung mit benannt. In anderen Dingen, wir haben über Oper für alle
gesprochen oder institutionelle Kooperation mit Museen beispielsweise, geht es
eher darum, dass man bestimmte Formate gemeinsam schafft und fördert, ohne dass
man jetzt davon ausgeht, dass das einen riesigen medialen Aufschlag analog der
Bekanntgabe der Art-Car-World-Tour zum 50-jährigen Jubiläum dieser Collection
erzeugen wird. Gleichwohl überlegen wir uns natürlich sehr genau, was wir
machen. Es gab keinen Führer für Privatsammlungen weltweit. Das ist dieser BMW
Art Guide by Independent Collectors, den wir herausgeben. In der ersten
Auflage haben uns Sammler*innen noch argwöhnisch beäugt, weil sie dachten, was
entsteht da für ein Buch? Heute stehen sie Schlange und bitten darum, dass ihre
Privatsammlung in dieser Publikation aufgenommen wird. Das ist natürlich ein
wunderbarer Erfolg und wir dachten uns, wenn Michelin als Reifenhersteller
Restaurants bewerten kann und das keinem im wahrsten Sinne des Wortes übel
aufstößt, dann kann doch BMW als ein Unternehmen, das seit über 50 Jahren im
Kulturbereich unterwegs ist, auch einen Art-Guide, ohne da eine Wertung drin zu
haben, was die einzelnen Sammlungen anbelangt, als „Lonely Planet Buch“
sozusagen und nicht als „Coffee Table Book“ auf den Markt bringen. Und
dadurch für die Leserinnen und Leser einen Überblick verschaffen, über Dinge,
die sonst vielleicht unter den Tisch fallen, wenn es darum geht, dass man eine
bestimmte Stadt bereist, gerne eine Privatsammlung sieht, von der man
vielleicht sonst gar nichts wüsste, wenn man nicht in dieses Buch geschaut hat.
Wir wollen vorne dran sein mit dem, was wir tun. Wir haben einen
Führungsanspruch auch im Bereich des Kulturengagements und sind sehr glücklich
mit unserem Portfolio. Es ist eben nicht alles, auch wenn anderes ebenfalls sehr
sinnhaft ist, Archäologie, Restauration von historischen Gebäuden – sind wir
aber nicht, machen wir nicht. Ist das wichtig? – mit Sicherheit!
Kulturmanagement und Recht
Ruben: Dann kommen wir jetzt zur letzten
Frage, bevor wir dann zu unserer Abschlussfrage kommen. Als Berlin Art Law
Society, wie unser Name schon verspricht, untersuchen wir vielfach auch die
Schnittstelle von Kunst und Recht. Welche rechtlichen Fragen sind denn im
Kulturmanagement bedeutsam und wer löst sie bei euch?
Thomas: Wir haben eine große und wunderbare
Rechtsabteilung, die natürlich verantwortlich dafür ist, dass Verträge gemacht
werden. Jede Kooperation mit jedem Künstler, mit jeder Künstlerin, mit jeder
Kulturinstitution, mit jeder Kunstmesse beruht auf einem vertraulich zu
behandelnden Vertrag. Außerdem redet der Einkauf und das Steuerrecht
mit. Da geht es schon da los, dass wir natürlich diejenigen sind, die den
Vertrag aufsetzen und nicht die Kulturinstitution, der Künstler oder die
Künstlerin.
Es geht darum, dass Fragen des Copyright geklärt
sind. Das sind Dinge die insbesondere im Kulturbereich, gerade mit AI, immer
wieder bei uns aufkommen. Bei den BMW-Art-Cars liegt das Copyright zum Beispiel
bei den Künstlerinnen und Künstlern, bzw. bei den Verwertungsgesellschaften der
VG Bild-Kunst oder den Nachlässen der zum Teil verstorbenen Künstlerinnen und
Künstler. Da kommt es natürlich ab und zu immer wieder zu Gesprächen, inwiefern
wir bestimmte Key-Visuals für welche Zwecke auch immer, nutzbar machen dürfen.
Da stehen wir im Austausch und zahlen unseren Obolus an die VG Bild-Kunst,
damit die dann wiederum an die Künstlerinnen und Künstler, deren Bilder wir
abbilden, ausschütten können.
Außerdem bewegen wir uns ständig im juristischen Bereich,
wenn wir etwa seit 40 Jahren die älteste Public-Private-Partnership im Bereich
Kultur, in dem Fall mit dem Kulturreferat der Stadt München haben und die
darüber nachdenken, diesen e.V. umzuwandeln in eine gGmbH. Was bedeutet das
dann im Sinne der rechtlichen Verantwortlichkeiten, die BMW daraus
erwachsen könnten, wenn wir in einem wie auch immer gestalteten Aufsichtsrat
einer gGmbH ein Mandat haben? Wäre es nicht sinnvoll, nur eine beratende
Funktion in einem zu schaffenden Beirat zu haben, sodass uns keine finanziellen
oder wie auch immer gearteten Verantwortlichkeiten entstehen? Auch bei solchen
Themen sind wir immer darum bemüht, gemeinsam mit den Partnern die bestmögliche
Lösung zu finden.
Dann geht es um Künstlerinnen und Künstler, die auf uns
zukommen, weil sie denken, wir hätten eine bestimmte Idee gestohlen.
Natürlich versucht man wertschätzend miteinander umzugehen. Gleichwohl ist es
wunderbar zu wissen, dass auch wenn ich das Gesicht nach draußen bin, für das
Kulturengagement der BMW-Gruppe, ich eine wunderbare Rechtsabteilung habe, die
im Falle von Auseinandersetzungen sehr gut dagegen lenken kann. Sich mit der
Rechtsabteilung eines Unternehmens anzulegen ist wenig ratsam. Wenn es
berechtigt ist, räumen wir Fehler selbstverständlich ein. – Da ist kein böser
Wille dahinter. Es ist uns bisher noch nie etwas untergekommen, dass etwas
nicht einwandfrei war. Denn man muss eine Sache wissen: „In The Court of
Public Opinion ist es immer das Unternehmen, das gegen die Künstler*innen
verliert. Sollte es jemals zu einer rechtlichen oder wie auch immer
gearteten Auseinandersetzung kommen, ist klar, wo die Sympathien liegen. Das
ist auch völlig verständlich. Umso wichtiger ist es, dass man juristisch
fundierte Grundlagen für die Kooperationen schafft, die ganz klar auch immer
vom Worst-Case-Szenario ausgehen.
Abschlussfrage: Lieber
Thomas, was würdest du jemandem raten, der sich für Kulturmanagement
interessiert?
Ruben: Vielen Dank für diesen Überblick. Dann
kommen wir jetzt zu der schon versprochenen Abschlussfrage. Die letzte Frage
steht ganz im Sinne unserer Vortragstradition, nach der wir für gewöhnlich am
Ende unsere Vortragenden fragen, was Sie jemandem raten würden, der sich für
eine Karriere im Kunstrecht interessiert. Das passt für dich nur bedingt.
Was würdest du daher jemandem raten, der sich für
„Kulturmanagement“ interessiert? Und unter Bezugnahme auf das von dir viel
paraphrasierte Nietzsche-Zitat „um ein Blitz zu sein, muss man zunächst für
eine lange Zeit eine Wolke sein“, das du im Rahmen deiner Lehrtätigkeiten
deinen Student*innen erzählst, um diese zu ermutigen neben der Kunst zunächst
noch einen anderen Beruf auszuüben - was kann man insbesondere tun, wenn man
sich, wie viele von uns, noch in der juristischen Ausbildung befindet?
Thomas: Ich würde versuchen wollen beides zu
beantworten. Einerseits Kunstrecht, obwohl ich da mehr abstrahieren muss und
ich weniger darüber verstehe und zum anderen Kulturmanagement. Das wichtigste
ist die Realisation, dass man verstehen muss, dass der Weg, den man geht,
einer ist, den man sich selbst mit der Machete durch den Dschungel schlagen
muss. Es gibt nicht den eigenen Weg, solange man ihn selbst nicht geht und
das Leben macht nur Sinn im Rückblick. Dann kann man die Punkte miteinander
verbinden und dann die wunderbar fehlerfreien Wikipedia-Einträge von Menschen
lesen, die es vermeintlich geschafft haben. Wie viel Scheitern damit verbunden
ist, wie viel Zeit zwischen diesen wichtigen Ereignissen, die eine Biografie
ausmachen, auch in den Sand gesetzt wurde, darum geht es nie. Das sollte man
wissen, aber es ist kein Trost, denn wenn man als junger Mensch anfängt zu
studieren, jongliert man noch mit so vielen Unbekannten. Man ist unsicher, bei
aller Sicherheit, die man schon an den Tag legen muss, sodass diese Sprüche
wenig helfen, da man ja selber diese Erfahrungen noch machen muss. Die meisten
Probleme lösen sich durch Arbeit und durch Eigeninitiative, neugierig bleiben,
auf sich selber hören. Jedes Narrativ von jedem Menschen, wenn er oder sie
rückblickt auf seine oder ihre Karriere, ist immer irgendeine Geschichte davon,
wie man sich durchgebissen hat, wie man selber etwas gestartet hat, wie einem
Leute gesagt haben, vergiss es. Steve Jobs hat einmal gesagt, „go the extra
mile“, aber wie einsam und wie alleine man auf dieser „extra mile“ ist, darüber
redet keiner.
Und beim Kulturmanagement ist es wie bei der Kunst sonst
auch: Das Erste, was ich immer den Studierenden sage, ist, dass sie sich einen
Job suchen sollen, weil nur einer von 100 von der Kunst leben kann und dass man
zumindest so lange einem anderen Job nachgehen sollte, bis man das kann. Und
das ist auch mit dem Nietzsche-Zitat gemeint. Das sind 50.000 Leute, die weltweit
Kulturmanagement studieren und die studieren das natürlich auch, weil die
Eltern immer sagen, okay, gut, studiere bloß keine Geistwissenschaften,
brotlose Kunst, sondern studiere irgendwas mit Management, dann kommst du
zumindest irgendwo unter. Das ist vieles alter Wein in neuen Schläuchen und
Etikettenschwindel. Und ich sage als jemand, der diesen Job jetzt seit über 20
Jahren macht, dass ich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen beobachte, die
auch alle so lange oder länger schon in diesen Positionen sind, dass keiner,
der so einen Posten jemals bekommt, den wieder loslässt. Du hast wenig
Fluktuation auf diesem Gebiet. Und zu viele Leute, die das studieren. Aber das
sollte keinen davon abhalten. Worauf ich hinaus will, ist, dass es für das
Kulturmanagement keine Schule gibt, also nur insoweit, als man im Bestfall
dieses „Learning by Doing“ so gut wie es irgendwie geht praktiziert. Das ist
bei Jura mit Sicherheit anders, wo man einfach ein tiefes, fundamentales Wissen
der Gesetze und ein Verständnis für alles mögliche haben muss. Da liegt der
Unterschied zwischen Jura und Kulturmanagement: Wenn man davon etwas verstehen
will, muss man wohin gehen und es erleben und nicht in Büchern darüber lesen.
Und man sollte seinen Leidenschaften so gut es geht folgen
und nicht Dinge wegbrechen lassen wie tektonische Platten, weil irgendwann
kommt man da nicht mehr hin. Man muss sich
auch früh genug eingestehen, dass vielleicht das eigene Studium, was die Eltern
wollten, dass man es studiert, vielleicht nicht das richtige ist. Da muss
man lernen auch mal zu springen. Ich habe angefangen Kultur, Kunst und
Literatur zu studieren aus einer tiefen Leidenschaft und für mich gab und gibt
es bis heute nichts anderes. Während ich Menschen kenne, die Medizin, Jura und
Wirtschaft studieren, von denen einige keine Leidenschaft hatten. Ich will
nicht sagen, dass es das nicht auch gäbe. Ich rufe nur dazu auf, einmal kurz
kritisch zu sein und nicht bloß etwas zu tun, weil die Eltern es schon getan
haben oder weil das Umfeld sagt und nicht zu Unrecht, damit kannst du später
Geld verdienen, mach das, beiß dich da durch, weil es eine gute Grundlage für
gesellschaftliche Bedeutung und für das Gründen einer Familie ist. Aber die
Leidenschaft dafür, die sehe ich vielfach weniger gegeben als bei Leuten, die
sich dafür entscheiden, ohne jemals davon auszugehen, Geld dafür zu verdienen,
Literatur oder Kunst zu studieren. Und ich habe lange darüber nachgedacht, dassUnternehmen eigentlich Menschen suchen, die aus Leidenschaft jedes Risiko,
selbst das existenzielle Risiko eingegangen sind und nicht aus einer
relativen Leichtigkeit, so schwer das Studium auch ist, sich auf die sichere
Bank verlassen haben. Es ist etwas Gutes, wenn man so bescheuert ist, Risiken
einzugehen und etwas zu studieren, dass einem später womöglich gar nicht mal
erlaubt, im Supermarkt die Dinge auf die Kasse zu legen, die man gerne essen
würde. Und deshalb würde ich mir wünschen wollen, dass jeder angehende Jurist,
sich dahingehend noch mal abklopft, weil später im Leben ist das schwieriger zu
justieren. Und die letzte Sache, die ich sagen will, ist, dass wenn man jung
ist, ein Dach über dem Kopf hat und nicht an einer Krankheit darbt oder einen
Todesfall im Umkreis hat und genug zu essen, dann hat man die verdammte
Pflicht, an die Randgebiete seiner selbst zu gehen. Denn nur dort ist Erkenntnisgewinn
und Persönlichkeitsbildung möglich. Für mich wichtig als Leitspruch ist,
dass das „Sowohl-als -auch“ zählt und möglich ist und nicht das „Entweder-oder“.
Man kann, so wie du es jetzt mit der Art Law Society machst, neben seinem
Studium auch andere Dinge machen. Man muss sich nicht nur auf eine Sache
konzentrieren. Und dieses „Sowohl-als-auch“ ist wichtig, dass man diese Dinge
in sich weiterhin kultiviert, bevor die absterben. Und deshalb ist dieser
„Sowohl-als-auch-Ansatz“, der mit Sicherheit nicht im Zwischenmenschlichen
funktioniert, aber zumindest im beruflichen ein wichtiger und ertragreicher.
*Ruben Schmitt ist Student der Rechtswissenschaften an der
Humboldt Universität zu Berlin, Gründungsmitglied der Berlin Art Law Society
e.V. und seit Oktober 2023 Vorstandsvorsitzender.
Das Interview fand am 12.03.2025 in der BMW Firmenzentrale
in München statt.
In Zukunft erwarten euch weitere kurze Artikel zu aktuellen und dauerbrennenden Kunstrechtsthemen. Stay tuned!