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Was macht ein Kulturmanager? Prof. Dr. Thomas Girst im Interview  


06.04.2025


Autor: Ruben Schmitt*



BMW x Art Basel 2024 | Photo: Enes Kucevic © BMW AG


Prof. Dr. Thomas Girst ist Global Head of Cultural Engagement der BMW Group. Er studierte Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik an der Universität Hamburg und der New York University. Während seines Aufenthalts in New York zwischen 1995 und 2003 war Girst Leiter des Art Science Research Laboratory unter der Leitung von Stephen Jay Gould von der Harvard University. Während dieser Zeit war er auch Kulturkorrespondent und Kolumnist der deutschen Tageszeitung (taz). Heute ist Herr Girst zudem Dozent an verschiedenen internationalen Universitäten und Akademien. Als Kurator hat er zahlreiche Ausstellungen organisiert, darunter „Alive and Kicking: the Collages of Charles Henri Ford“ in New York und „Marcel Duchamp in München 1912“. Im Jahr 2016 wurde Herr Girst mit dem Preis „Europäischer Kulturmanager des Jahres“ ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zuletzt erschienen u.a.: „The Duchamp Dictionary“ (2014) „Art, Literature, and the Japanese American Internment“ (2015), „100 Secrets of the Art World“ (2016), „Alle Zeit der Welt“ (2019) und „Esther Mahlangu: To Paint is in my Heart“ (2024).

Was macht ein Kulturmanager?

Ruben: Lieber Thomas, vielen Dank für deine Einladung. Es freut uns sehr, dass du dir heute Zeit nimmst uns über dich und das Kulturmanagement zu erzählen. Direkt gefragt: Was macht ein Kulturmanager und wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

Thomas: Das frage ich mich jeden Tag, was ein Kulturmanager eigentlich macht. Vor allem weil es wohl keinen typischen Arbeitstag gibt, sondern der Arbeitstag natürlich geleitet ist von Teams Meetings, die Kolleg*innen aus der ganzen Welt einstellen. Ich verantworte das Kulturengagement weltweit in den Headquarters in München und wir verstehen uns letztlich als Dienstleister für die Kolleg*innen in der ganzen Welt, die sich kulturell engagieren wollen. 

Wenn man sich im Sportbereich engagieren will, ist das wunderbar, ich spiele die Dinge nicht gegeneinander aus, dann ist es glaube ich relativ klar, für wie viel Geld ein Logo auf dem Trikot von welchem Sportler wie lange prangt. Während das im Kulturbereich natürlich eher ein Bereich ist, in dem man die Sensibilitäten kennen sollte. In dem dann aber letztlich auch viel mehr für die Visibilität, die Reputation und das Image der BMW Group erreicht werden kann, mit weniger Mitteln als das in anderen Bereichen der Fall ist. Das heißt einerseits geht es um die weltweite Realisierung von kulturellen Veranstaltungen, ob das Opernhäuser sind oder Kunstmessen, das ist relativ breit gestreut. Sowie darum, dass dies im Sinne einer „One-Voice-Communication“ innerhalb der vorgegebenen Strategien der BMW Group geschieht. Und andererseits geht es aufgrund unseres Budgets, das vor allem in bestehenden Verträgen seine Ausgaben wiederfindet, darum, dass diese Kooperationen, die in unserer Verantwortung laufen, funktionieren.

Das heißt, wir laden Journalist*innen ein, wir arbeiten mit Event-, PR- und Handling-Agenturen an Pressemitteilungen, an möglichst breit gefächerter Berichterstattung und natürlich daran, dass die Veranstaltungen erfolgreich laufen. Erfolgreich laufen heißt erfolgreich für die BMW Group, wobei ich immer sage, dass die Subtilität des Auftritts von der Sophistication des Förderers spricht. Hier geht es weniger darum, in einem Logofriedhof Präsenz zu zeigen, als darum wirklich Dinge zu schaffen, die auch für den Betrachter, die Betrachterin, den Zuhörer, die Zuhörerin von Erkenntnisgewinn geprägt sein können. Das wäre jetzt mal eine komplexe Antwort auf eine sehr knappe Frage. Aber ich habe noch nicht mal angefangen, die Spitze des Eisbergs zu beschreiben.

Ruben: Was reizt dich denn ganz persönlich an der Kunst? Warum hast du dich dafür entschieden, dein Leben der Kunst zu widmen und warum tust du das ausgerechnet als Kulturmanager?

Thomas: Meine Begeisterung, Leidenschaft und tiefe Liebe zur Kultur und vor allem zur Kunst und zur Literatur, die sich auch in meinem Studium widerspiegelt, setzte irgendwann mit 12 oder 13 Jahren ein. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, das davon geprägt war, dass meine Eltern, die von wenig, um nicht zu sagen von nichts kamen, wenngleich privilegiert als in Europa tätige Menschen, nicht so viel Zeit hatten, ihr kulturelles Interesse zu kultivieren. Das heißt, das wurde mir nicht schon im Elternhaus vorgelebt, obwohl meine Eltern jetzt natürlich in ihrer verdienten Ruhezeit sich sehr um Kunst und Kultur bemühen und darin auch eine Erfüllung sehen.

Es gibt für alle immer irgendein Aha-Erlebnis. Mein Aha-Erlebnis war die Sichtung von Katalogen und Büchern von und über Salvador Dalí in der Bibliothek meiner immer noch über alles geliebten und geschätzten Patentante in Köln. Und das war die Einstiegsdroge und ich kam nicht mehr los. Ich könnte womöglich in anderen Bereichen unterwegs sein, aber das wollte ich nicht. Das Leben hat etwas damit zu tun, wo es Resonanz gibt. Resonanz kann mit Menschen stattfinden und Resonanz kann stattfinden mit Kunstwerken und Partituren, die man hört. Und für mich ist die Kultur und Kunstwelt das Zeugnis davon, was Menschen Schönes auf diesem Planeten kreieren können. Das ist es, was mich reizt. Es reizt mich daran teilzuhaben, Studierende zu lehren, selber zu schreiben, wie ich es etwa als Kunsthistoriker in meinen Büchern tue. Aber auch an der Funktion des Kulturmanagers hat mich etwas gereizt, das mich am Akademischen und insbesondere in den Geisteswissenschaften gestört hat, was zum Teil auch, glaube ich, heute mit dem freien Fall der Geisteswissenschaften zu tun hat, was mir in der Seele weh tut, nämlich die Tatsache, dass man oft, ich sage immer mit einem „Diskursvokabular-Phrasen-Dreschmaschinentum“, die Tür von innen zugestemmt hat. Es hat mich wirklich genervt, während dem Studium und auch nach dem Studium, sodass ich keine akademische Karriere eingeschlagen habe, sondern immer auch mit meinem kunsthistorischen Schreiben versucht habe Menschen zu erreichen, versucht habe den „Red-Tape“ um Kunstgeschichte herum aufzulösen, der eigentlich allen Menschen, die womöglich daran interessiert sind, manchmal versucht einzutrichtern, dass man erst eine gewisse Grundbildung haben müsse, um sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Ich sage oft, Kunstgeschichte ist der Versuch der Objektivierung eines subjektiven Eindrucks. Natürlich ist es ein hartes, herausforderndes Studium und man lernt sehr viel dabei. Aber ich finde, gerade wir sind keine Hirnchirurgen in den Geistwissenschaften. Wir können und wir sollten so viele Menschen wie möglich erreichen, ohne die Komplexität der Themen zu verwässern. Im Gegenteil, man kann einen Anspruch formulieren und Kunst, von der man wirklich etwas hat, ist die Kunst, die einen im Innersten angeht und um die man sich auch bemüht. Erkenntnisgewinn ist dann am größten, wenn man wirklich auch viel gibt, wenn man viel Arbeit in etwas setzt. Informationen können wir durch Social Media und unsere Smartphones sofort haben – „it is at our fingertips.“ Aber Wissen ist etwas, das man sich hart erarbeiten muss. Und wenn ich für ein großes Unternehmen genau da ansetzen und genau da etwas tun und schaffen kann, ist das das größte Privileg und der schönste Job.

Das Kulturmanagement der BMW Group und die Zukunft von Kunst und Kulturmanagement

Ruben: Ich kann auf jeden Fall die Begeisterung in deiner Stimme hören und hoffe, die Leser können ebenfalls deine Begeisterung an deinen Worten nachvollziehen. Du hast es schon angesprochen, du machst das Ganze für die BMW-Gruppe. Das Kulturmanagement der BMW-Gruppe erschreckt sich über viele Bereiche, etwa zu klassischer Musik und Jazz, zu Architektur und Design und eben auch zu moderner und zeitgenössischer Kunst. Mit einem eurer Engagements im Bereich klassischer Musik hatten sicherlich viele unserer Mitglieder*innen und Jurastudierende der Humboldt Universität zu Berlin bereits Berührungspunkte. Denn als Nachbarn der Staatsoper Unter den Linden, direkt am Bebelplatz gelegen, hört man seit einigen Sommern Klänge und sieht große Aufbauten für das Projekt Oper für alle. Worum handelt es sich denn dabei?  

Oper für Alle 2014 | © BMW AG


Thomas: Ich finde es wunderbar, dass du zumindest im Prinzip von guter Nachbarschaft sprichst, denn es geht uns natürlich um die Wirkungsstätte des Bebelplatzes und damit auch darum die Nachbarn abzuholen, die natürlich immer eingeladen sind, mit dabei zu sein, wenn es wieder heißt, Oper für alle. Oper für alle ist ein Projekt, das exemplarisch ist und mittlerweile als Best Practice gelebt wird, zum Beispiel am Anfang diesen Jahres in Melbourne auf dem Federation Square oder in Kooperation mit dem London Symphony Orchestra auf dem Trafalgar Square. Seinen Ausgang nahm das hier in München bei der Bayerischen Staatsoper. Oper für alle ist der Gedanke, dass Oper, die Hochkultur, was manchmal auch als elitär unterstellt wird, für alle zugänglich wird. Es ist eine 400 Jahre alte Kunst- und Kulturform, die ausstirbt, sobald keine Menschen mehr Lust darauf haben, einer Oper zu lauschen. Was kann man Besseres tun, als dieses Erlebnis umsonst und kostenfrei einem breiten Publikum zugänglich zu machen? In einer Picknick-Atmosphäre, wo Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern mitbringen – hunderttausende von Leuten, seitdem das seit über einem Jahrzehnt läuft, die wir damit hoffentlich froh durch den Alltag gehen lassen haben. Es ist ja mittlerweile ein kaum wegzudenkendes Event im Kulturkalender der Stadt Berlin, aber es formuliert eben auch einen Anspruch darauf, dass es im Kulturmanagement eines Unternehmens nicht nur darum gehen kann, die Zielgruppen passgenau zu erreichen, also im Fall von BMW Autos zu verkaufen. Das will ich überhaupt nicht schmälern, das ist unser Kerngeschäft. Wenngleich Milton Friedman in den 1960er Jahren mal gesagt hat, „the only business of business is business“, geht es jedoch heute in der öffentlichen Wahrnehmung darum, was gibt ein Unternehmen zurück an die Gesellschaft, innerhalb derer es erfolgreich wirtschaftet? Es geht darum, dass mit einem Erfolg auch eine Verantwortung einhergeht, auch eine soziale, gesellschaftliche Verantwortung. Und diese Corporate Citizenship, wie sich die BMW-Gruppe verhalten würde, wenn sie ein Mensch wäre, geht im Kulturengagement einher mit dem Versuch des Erreichens der Zielgruppen, Customer Relations Management und Brandbuilding. Im Bestfall ist das ein Spagat unserer Formate, die beides zusammenbringen. Oper für alle tut das auch, Zehntausende auf dem Bebelplatz können kostenfrei die Oper genießen und gleichzeitig laden wir Gäste ein, es gibt einen Excellence Club, da sind die 7er-Kunden drin vereint, es gibt ein Dinner mit der Oper, dem Intendanten, dem Dirigenten, den Sängern, der ersten Geige etc. und anderen wichtigen Meinungsbildnern und VIPs, das in dem Fall im Apollosaal der Staatsoper gefeiert wird. Also wie gesagt, das ist ein Projekt, das exemplarisch für unseren Anspruch des Kulturengagements, Erreichen von Zielgruppen einerseits, aber auch Wahrnehmungen einer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung andererseits, steht.

Ruben: Vielen, vielen Dank. Heute soll es aber vor allem um eure Aktivitäten in der modernen und zeitgenössischen Kunst gehen, da dies die Bereiche sind, an denen wir auch selbst besonders interessiert sind. Eines eurer bekanntesten Projekte ist die „BMW Art Car Collection“, die dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. In deren Rahmen haben bereits 20 bekannte Künstler*innen, wie Andy Warhol, David Hockney, Ólafur Elíasson oder Jeff Koons, Automobile zu Kunstwerken umgestaltet. Wie kam es dazu und ist es gelungen, so hochkarätige Künstler*innen von der Idee zu überzeugen, ein Auto zu designen?

BMW Art-Car Collection | © Enes Kucevic


Thomas: Als ich mit den BMW Art-Cars noch nichts zu tun hatte und in New York als Kulturkorrespondent für die taz und am Art Science Research Laboratory, eine non-profit-Organisation, die die Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft unter der Leitung von Harvard-Professor Steven Jay Gould untersucht hat, gearbeitet habe, hielt ich die BMW-Art-Cars für das schlechteste Beispiel dafür, wie man als Unternehmen versuchen kann, sich in die Kunst hineinzuwanzen“. Also im Sinne von Werfe Geld auf einen Künstler, Künstler wirft Farbe auf ein Auto, Auto wird vom Industrie- zum Kunstobjekt.“

Nicht aufgrund des Corporate Brainwash, sondern aufgrund der Tatsache, dass ich mich mit der Historie der BMW-Art-Cars im Rahmen meiner Verantwortung für die BMW-Art-Cars als globaler Leiter des Kultur-Organismus der BMW-Gruppe auseinandergesetzt habe, stellte ich schnell fest, dass diese Idee nicht entstanden ist, weil PR- und Marketingleute an einem Tisch zusammensaßen und darüber nachdachten, wie kriegen wir die Marke BMW möglichst bekannt positioniert in dem wichtigen Kunstumfeld, sondern dass die Idee entstanden ist, und da sind wir auch wieder bei der Leidenschaft, der Passion und der Liebe letztlich für Kunst und Kultur, am Race Track von Le Mans, dem größten Endurance Race der Welt. – Der seit den 1910er Jahren letztlich wichtigsten Größe im Rennsport neben der Formel 1. 

Und da waren nun Hervé Poulain, immer noch CEO von Artcurial Auction House, damals begeisterter Rennwagenfahrer und eben jemand, der viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler kannte und Jochen Neerpasch, unser Gründer und damaliger Direktor von BMW Motorsport. Sie saßen am Race Track nebeneinander und Hervé Poulain wollte für die Flotte von BMW 1975 in Le Mans fahren und schlug vor, dass Alexander Calder, der kurze Zeit später verstarb, den BMW 3.0 CSL zum Art-Car gestaltet. Und keiner dachte damals, dass sich das fortsetzen würde. Als das Ding aber aus dem Pitstop fuhr, Kinder begeistert winkten und das Fahrzeug zum Publikumsliebling wurde, dachte man, mein Gott, man hat hier vielleicht was Tolles erschaffen.

BMW Art-Car by Alexander Calder | Photo: Enes Kucevic © BMW AG


Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit Mobilität auseinander seit der Erfindung des Automobils in den 1880er Jahren. Mit den BMW Art-Cars haben wir eine wunderbare Reihe ins Leben gerufen, in der Künstlerinnen und Künstler sich auch kritisch mit dem Thema auseinandersetzen. Als Luxusunternehmen, wie die BMW Group eines ist, kann man sich natürlich immer dem Bling-Bling anheimgeben, das von innen hohl ist. Mir geht es aber um die Bedeutung und die Erkenntnis. Ich wundere mich selbst darüber, wie ein Unternehmen, dass ja keine kulturelle Institution ist, sondern Automobilhersteller, der versucht möglichst wunderbar designte und zuverlässig gebaute Automobile an Mann und Frau zu bringen, wie es diesem Automobilhersteller gelingt über einen Zeitraum von 50 Jahren so gute Künstlerinnen und Künstler in diese Reihe hineinzubekommen. Und da ich die Verantwortung für die Art-Cars von Ólafur Elíasson, Cao Fei, John Baldessari, Jeff Koons und jetzt zuletzt Julie Mehretu trage, ist das ein „pas de deux“, es ist ein Tanz der beginnt, es ist Überzeugungsarbeit, es ist zum Teil aber auch der Wunsch der Künstlerinnen und Künstler, wie bei Jeff Koons beispielsweise, zu dem Pantheon derjenigen Künstlerinnen und Künstler zu gehören, die er selber so bewundert. Er wollte unbedingt zu einer Reihe beitragen, zu der seine Idole Andy Warhol und Roy Lichtenstein schon 40 Jahre zuvor beigetragen hatten. Andere interessieren andere Dinge: Baldessari wollte unbedingt außerhalb von Museen seine Relevanz ausbreiten und gesehen werden, also lieber auf dem Race Track als in der nächsten Ausstellung. Julie Mehretu kreiert nicht nur ein Auto, sondern auch eine Reihe von panafrikanischen Workshops zum Thema Film, die jetzt nach dem Renneinsatz des Autos und nach der Weltpremiere im Centre Pompidou 2025 und 2026 greifen. Ólafur Elíasson setzt sich kritisch mit dem Thema globale Erwärmung und CO2-Ausstoß auseinander mit unserem H2R-Hitrogen-Car aus dem Jahr 2006. Das heißt die Künstlerinnen und Künstler sind frei darin zu gestalten, was und wie sie es wollen. Wenn das Auto rennen fährt, sollten sie natürlich nichts mit der Aerodynamik oder dem Gewicht veranstalten, dass die Chancen verschlechtert, das Rennen zu gewinnen. Aber die Achtung der Freiheit der Künstler ist für uns eines der höchsten Güter überhaupt. Die Künstlerinnen und Künstler werden auch ausgewählt von einer internationalen Jury. Das hilft mit Sicherheit, wenn wichtige Leute im internationalen Museumsbetrieb diejenigen sind und nicht wir. So sieht das „in a nutshell“ aus bezüglich des Auswahlprozesses und der Genealogie dieser wunderbaren Reihe seit nunmehr 50 Jahren.


BMW Art-Car by Ólafur Elíasson © BMW AG


Ruben: Du hast soeben beschrieben, dass jeder Künstler seinen ganz eigenen Zugang findet zu den Art-Cars, ob das jetzt der Take auf den Klimawandel ist von Ólafur oder Cao Fei, die ein Art-Car geschaffen hat, das in Vollendung nur durch eine Augmented-Reality-App erfahrbar ist. Wie siehst du die Weiterentwicklung der Art-Car Serie in den nächsten Jahren und welche Bedeutung, gerade wenn man den Ansatz von Cao Fei bedenkt, spielen dabei neue Technologien? Und wie war es mit all diesen Künstler*innen eng an eng zusammenzuarbeiten, was ist dir dabei in persönlicher Hinsicht in Erinnerung geblieben? 

Thomas: Also neben der Herausforderung meiner Tätigkeit und neben dem Privileg, das ich ja bereits benannte, ist natürlich eines der schönsten Dinge meiner Tätigkeit die langfristige Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern, die mit zu den wichtigsten und bedeutendsten der Gegenwart gehören. Und dass eine Reihe von BMW Art-Cars natürlich nicht irgendwo in der Zeit gefangen bleiben kann, dahingehend, dass Kunst etwas ist, das durch Pinselstriche entsteht, ist natürlich auch klar. Die Zeit verändert sich und so veränderten sich auch die Technologien, die Künstlerinnen und Künstler verwenden, wenn es darum geht, ihren Visionen einen visuellen Auftritt zu geben. Wir sind als Unternehmen natürlich an Hightech interessiert. Wir sind Automobilhersteller, aber wir sehen uns auch ganz klar als Technologieunternehmen. Die Auseinandersetzung mit neuen Medien und Hightech ist natürlich für unsere Ingenieure und Designer, die an der Mobilität der Gegenwart und der Zukunft arbeiten, ebenso wie für das Kulturmanagement von Interesse. Schon vor fünf Jahren haben wir mit entsprechenden Agenturen und Künstler*innen „The Ultimate AI Masterpiece“ erschaffen, als es darum ging, ein Automobil als Leinwand mit Projektionen zu bespielen, die sich AI-generiert bewegt haben. Da waren wir vorne dran. Wir haben einen Führungsanspruch im Bereich der Kunst und Kultur und ich lerne viel von den Künstlerinnen und Künstlern. Ob ich dann selbst ein Buch schreibe über Esther Mahlangu, Ndebele-Künstlerin, die in Südafrika jetzt auf einmal mit 90 die internationale Bekanntheit erfährt, die ihr eigentlich schon seit Jahrzehnten zusteht. Wenn ich die mit Hans Ulrich Obrist und Azu Nwagbogu interviewe, drei Tage lang in ihrem Dorf außerhalb von Johannesburg, ist das natürlich für mich fast wie eine Begegnung mit Yoda, weil diese Dame fast nur Weisheiten von sich gibt und nebenbei noch eine fantastische Künstlerin ist, die es geschafft hat, entgegen allen Widerständen als Frau in Südafrika während der Apartheid ihre Kunst zu schaffen und es erreicht hat, dass diese von der Welt gesehen wird. Ob Rihanna, Oprah Winfrey, Pharrell, Trevor Noah, Swizz Beatz oder Alicia Keys, die alle sind begeistert von ihrer Kunst und sammeln sie.


Thomas Girst, Azu Nwagbogu, Esther Mahlangu and Hans Ulrich Obrist | Photo: Ant Churchyard (c) BMW AG


Ob ich mich mit Ólafur Elíasson auseinandersetze, der auch ein Buch schafft, um über die Zukunft des Automobils nachzudenken, das dann wiederum unser Chefdesigner zur Pflichtlektüre für seine hunderten Designer bei BMW macht. Es ist ein wahrer Dialog: „We don't only talk the talk – we walk the walk.“ 

John Baldessari zu umarmen, der glaube ich zwei Meter zehn war, mit Jeff Koons abends beim Dinner zu sitzen, der einem wirklich wunderbare Dinge sagt, die einen fürs Leben prägen, Leitsprüche, zum Beispiel der, dass wir alle Gewinner sind auf diesem Planeten, weil wir den größten Wettbewerb, den wir jemals erlebt haben, der schon im Mutterleib stattfindet, gewonnen haben. Jeder einzelne Mensch ist ein Gewinner, weil wir es schon geschafft haben die größte Konkurrenz, den größten Wettbewerb für uns zu entscheiden, bevor wir überhaupt geboren wurden. Das finde ich herrlich, so einen Ausblick auf unsere Mitmenschen und so einen Ausblick auf sich selbst. Gerade in Zeiten, wo man vielleicht mal an sich zweifelt, was ja immer der Fall sein sollte, denn so kommt man voran. 

Oder auch mit Julie Mehretu, die genauso alt ist wie ich, auch über viele private Dinge zu sprechen. Das sind Dinge, die einen sehr bereichern. Vor allem weil das Menschen sind, die nicht von ungefähr dort sind, wo sie sind. Und das ist jedes Mal ein großes Geschenk, dieser tiefe Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern der Art-Car-Reihe.

Ruben: Für ein technologieaffines und naturgemäß nah an der Ingenieurskunst liegendes Unternehmen wie BMW, ist sicherlich diese Verschränkung von Technologie und Kunst, die jetzt mit den neuen Medien immer stärker voranschreitet, auch irgendwie eine willkommene Einladung, weil das ja gut zu dem Zukunftsanspruch, immer an das Speerspitze von Technologie mit dabei zu sein, gut passt. In diesem Kontext finde ich aber ein Zitat, was du mal gemacht hast, sehr spannend, und zwar, du sagtest mehrfach, dass du NFTs, also non-fungible-tokens, deine eigene Definition „neoliberal-futile-trash“ gegeben hast. Und da hat sich mir die Frage gestellt, wie kam es dazu und wie beurteilst du, welche Technologie für die bildende Kunst von Wert ist und welche nicht?


Thomas: Maurizio Cattelan hat mal gesagt, wonach er bei Kunst schaut, ist ein „sense of urgency“. Wenn ich ein „sense of fame“ und ein „sense of money making“ sehe, dann kräuseln sich mir schon die Nackenhaare. Viele Künstlerinnen und Künstler sind dort, weil sie denken, sie können Geld machen oder sie wollen berühmt werden. Der Kunstmarkt ist ein 60 Milliarden Euro Markt, das ist ein bisschen über ein Drittel dessen, was BMW als Unternehmen im Jahr als Umsatz macht. Es ist ein kleiner, es ist ein unregulierter, aber es ist ein Markt. Es ist ein Markt indem nur einer von 100 Künstlerinnen und Künstlern, das sage ich immer, wenn ich die Akademie-Künstler*innen lehre, von ihrer Kunst leben kann. Bei NFTs hat mich das vor allem auf den Kunstmessen aufgeregt. Es ging weniger um die Kunst, es ging weniger um die Ästhetik, es ging um Geld. Das ist etwas, was mich stört, denn auch wenn es nur ein 60 Milliarden Euro Markt ist, ist wahrscheinlich die Lyrik weltweit ein 500 Millionen oder 100 Millionen Euro Markt. Also in den verschiedenen Ausrichtungen von Kultur ist sehr viel Geld in der Kunst, das führt zwangsweise zu sehr viel schlechter, schnell produzierter Kunst. Ich möchte Tiefenergründungen sehen, ich möchte Dinge sehen, die sich Zeit nehmen. Ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass ich in der Zeit des Algorithmus für Serendipität argumentiere und in der Zeit des Shortcuts für den Umweg. Ich möchte Künstlerinnen und Künstler sehen, die sich mit einer gewissen Ernsthaftigkeit mit Dingen auseinandersetzen. Ich meine, wer hatte am Ende Recht mit neoliberal-futile-trash? Guck dir an, wo die NFTs alle hin sind. Wie hießen sie noch, diese Happy-, Banana-, Monkeys oder was auch immer. Wie viel sind die jetzt wert? – Nothing. Ich hätte mich gefreut, hätte jemand vorher die Warnung gesehen, die ich in meiner Auflösung dieses Akronyms betrieben habe. Hito Steyerl hat einmal gesagt, alle reden über künstliche Intelligenz, aber keiner redet über künstliche Dummheit. Mir ist wichtig, dass man in der Kunst und Kultur AI nur als Werkzeug und maximal als Material sieht, aber nicht als Ziel in sich selbst. Das ist dort, wo sich die Kunst dann auch verrennt, die sich zum Sklaven der Technologie macht. Ich möchte sehen, dass man diese Technologie beherrscht und Dinge schafft, die bislang noch nicht geschaffen worden sind. Diesen sense of urgency möchte ich sehen! Und ich sehe eben gerade in diesem Bereich der neuen Technologien, weil so viele Dinge jetzt auch möglich sind, für alle möglichen Menschen, die damit einhergehende Demokratisierung, die zu begrüßen ist. Aber die Nivellierung dessen, was ich als Anspruch für Kunst, für mich selbst formuliere, die ist für mich erschreckend. 

Ruben: Wenn ich dich richtig verstehe, dann war das NFT deiner Meinung nach eine fehlgeratene Entwicklung der Kunst in der zunehmend technologisierten Welt.

Du gibst aber dennoch zu erkennen, dass du mit Zuversicht in eine Zukunft schaust, in der Kunst und Technologie produktiv miteinander koexistieren und interagieren können. In diesem Kontext möchte ich auch wieder auf ein Zitat zurückkommen: Udo Kittelmann stellt in dem von Magnus Resch und dir herausgegeben Buch „100 Secrets of the Art World“ die These auf, dass „die bildende Kunst ihr Limit erreichen wird, da die Magie verloren gehen wird“. Was ist damit gemeint und warum hat Udo Kittelmann einen so anderen Blick in die Zukunft, als du es hast?

Thomas: Ich hätte jetzt gerade nach der Hälfte deiner Ausführungen selbst angefangen Udo Kittelmann zu zitieren. Ich bin froh, dass du ihn als „preemptive strike“ schon vorab erwähnst. Ich kann nicht anders als positiv und voller Optimismus in die Zukunft blicken. Vor allem, weil ich ein Alter erreicht habe, wo man ja meist mit der jüngeren Generation schon hadert, weil man sie nicht mehr versteht. Zum Glück tut man das noch, weil man eigene Kinder hat. Und andererseits habe ich meine Doktorarbeit über Kunst und Literatur in japanischen und amerikanischen Internierungslagern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Ich weiß, aufgrund meiner tiefen Auseinandersetzung damit, und andere sind mit Sicherheit zu derselben Erkenntnis über andere Wege gekommen, dass Kunst und Kultur essentielle Ausdrucksformen des Menschen sind. Und selbst wenn kein Euro mehr, beispielsweise anstatt der in Deutschland 14 Milliarden Euro in die Kultur gehen würde, dieses Horrorszenario will ich gar nicht ausmalen, da hängen hunderttausende Jobs dran, würde es die Kunst trotzdem weiterhin geben. Und die hat es gegeben schon vor 50.000 Jahren in den Höhlen unserer behaarten Vorfahren. Die gibt es, wenn Menschen zu Unrecht interniert werden, wenn um sie herum Zensur, Propaganda und Manipulation herrscht, oder es noch nicht mal Materialien gibt. Dann gibt es dennoch Ausformungen von Kunst über ein Stück Holz, das man in der Wüste findet. Das will ich weder despektierlich verstanden wissen, noch im Sinne eines Horrorszenarios, sondern im Sinne des Weiterlebens von Kunst als essentielle, ureigene Ausdrucksform des Menschen, in welcher Weise auch immer. Egal wie die Parameter drum herum sind, die Kunst bahnt sich ihren Weg. Das ist meine Hoffnung und mein Wissen und daraus nährt sich mein Optimismus. Das ist einerseits der Punkt.


Und zweitens haben sich Künstlerinnen und Künstler immer mit den neuesten Errungenschaften der Technologie auseinandergesetzt. Wir hätten keine Zentralperspektive in der Renaissance oder die Kamera Obscura in der Kunst des goldenen Zeitalters des 17. Jahrhunderts in Holland, wenn das Fernglas nicht erfunden worden wäre. Diese Dinge würde es nicht geben, ohne die heute natürlich fast schon belächelten Errungenschaften dessen, was damals Hightech war. In vorsokratischer Zeit gab es ein Wort für Dinge, die in der Wissenschaft, Technologie und in der Kunst passieren, nämlich téchnē.“ Das ist derselbe Ursprung. Diese permeable Membran zwischen Kunst, Ausdruck und neuesten Technologien ist total spannend. Sie ist das, was interessiert. Es sind die neuen Werkzeuge, die man auf einmal hat und nicht mehr nur der Pinselfarbkasten. Schafft das bessere Kunst? - No fucking way. Ich finde die Kunst nicht deswegen besser, aber irgendetwas wird mit Sicherheit bleiben. Und Menschen, die sich mit großer Ernsthaftigkeit damit auseinandersetzen, werden auch die nächsten wichtigen immersiven Kunstwerke schaffen.  

Vielleicht ist es gleichsam interessant, dass diejenigen, die die neuen Käuferschichten ansprechen, die sich dann auf digitale Kunst oder NFT spezialisieren, dass die auf einmal feststellen, dass es auch Ölgemälde gibt und total geflasht sind von der Könnerschaft dessen, was wir heute gar nicht mehr so gut können. Es gibt Errungenschaften der Menschheit, die vielleicht im 16. Jahrhundert „gepeakt“ sind. Buchmalerei, das muss man sich mit Lupen heute anschauen, um zu erkennen mit welchen Einhaarpinseln damals gemalt wurde. Das würde heute niemand mehr hinbekommen. Und deshalb bin ich gespannt und voller Neugier, was diese neuen Quantensprünge in der Technologie wirklich für die Kunst bereithalten und umgekehrt.

Ruben: Vielen, vielen Dank. Die BMW Group fördert auch viele andere Projekte im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst. Wir haben jetzt schon über die BMW Art-Cars gesprochen, ein bisschen über Kunst und die Zukunft philosophiert und eingangs über euer Projekt Oper für alle gesprochen. Darüber hinaus veröffentlicht ihr seit 2012 den „BMW Art Guide by Independent Collectors“, ihr seid Partner des Preises der Nationalgalerie für junge Kunst, ihr ermöglicht seit 2015 in Kooperation mit der Art Basel ausgewählten Künstler*innen Recherchereisen (BMW Art Journeys) und ihr ladet seit 2017 im Rahmen von BMW Open Work by Frieze alljährlich eine Künstler*in ein, ein visionäres Projekt zu erschaffen, das BMW Design, Technik und Ingenieurskunst kombiniert, nur um einige zu nennen. Ohne sich jetzt in den Details zu verlieren, welche Strategie verbirgt sich hinter der Auswahl von Kunst- und Kulturprojekten, dieses, man muss ja mittlerweile sagen, Portfolios an Institutionen und Events, die ihr fördert.

Thomas: Wir sprechen tatsächlich auch intern von Portfolio. Es ist so, ich kriege 2.000 Anfragen im Jahr und je mehr man natürlich im Kulturbereich tut, um so mehr Anfragen kommen auch auf einen zu. Es ist essenziell, dass man als Unternehmen eine Strategie aufstellt, auch in Bereichen außerhalb des Kerngeschäfts, die sozusagen die Werte widerspiegelt, die für uns in unserem Ureigenen, nämlich der BMW-Group als Automobilersteller, relevant sind. Alles andere wäre wenig glaubwürdig und authentisch. Dann geht es auch darum, dass man nicht von Event zu Event springt, sondern langfristig Kulturinstitutionen begleitet und langfristige Kooperationen eingeht. Der Begriff der Co-Creation, des „X“ zwischen Jeff Koons X BMW etc., ist wichtig geworden. 


THE 8 X JEFF KOONS. Limited edition of the BMW M850i xDrive Gran Coupé, designed by Jeff Koons | (c) BMW AG


Portfolio, Blumenstrauß, Facetten, was auch immer man sagen möchte, die müssen strategisch fundiert sein und das sind sie bei uns. Wobei wir sehr unternehmensstrategisch unterwegs sind, indem wir auch die Parameter vorgeben, innerhalb derer Kulturengagements möglich sind. Wir haben über die BMW Art-Cars gesprochen, die sind natürlich sehr nah am Kerngeschäft dran. Da spielt das Auto immer eine Rolle und wir werden natürlich auch immer in der Berichterstattung mit benannt. In anderen Dingen, wir haben über Oper für alle gesprochen oder institutionelle Kooperation mit Museen beispielsweise, geht es eher darum, dass man bestimmte Formate gemeinsam schafft und fördert, ohne dass man jetzt davon ausgeht, dass das einen riesigen medialen Aufschlag analog der Bekanntgabe der Art-Car-World-Tour zum 50-jährigen Jubiläum dieser Collection erzeugen wird. Gleichwohl überlegen wir uns natürlich sehr genau, was wir machen. Es gab keinen Führer für Privatsammlungen weltweit. Das ist dieser BMW Art Guide by Independent Collectors, den wir herausgeben. In der ersten Auflage haben uns Sammler*innen noch argwöhnisch beäugt, weil sie dachten, was entsteht da für ein Buch? Heute stehen sie Schlange und bitten darum, dass ihre Privatsammlung in dieser Publikation aufgenommen wird. Das ist natürlich ein wunderbarer Erfolg und wir dachten uns, wenn Michelin als Reifenhersteller Restaurants bewerten kann und das keinem im wahrsten Sinne des Wortes übel aufstößt, dann kann doch BMW als ein Unternehmen, das seit über 50 Jahren im Kulturbereich unterwegs ist, auch einen Art-Guide, ohne da eine Wertung drin zu haben, was die einzelnen Sammlungen anbelangt, als „Lonely Planet Buch“ sozusagen und nicht als „Coffee Table Book“ auf den Markt bringen. Und dadurch für die Leserinnen und Leser einen Überblick verschaffen, über Dinge, die sonst vielleicht unter den Tisch fallen, wenn es darum geht, dass man eine bestimmte Stadt bereist, gerne eine Privatsammlung sieht, von der man vielleicht sonst gar nichts wüsste, wenn man nicht in dieses Buch geschaut hat. Wir wollen vorne dran sein mit dem, was wir tun. Wir haben einen Führungsanspruch auch im Bereich des Kulturengagements und sind sehr glücklich mit unserem Portfolio. Es ist eben nicht alles, auch wenn anderes ebenfalls sehr sinnhaft ist, Archäologie, Restauration von historischen Gebäuden – sind wir aber nicht, machen wir nicht. Ist das wichtig? – mit Sicherheit!

Kulturmanagement und Recht

Ruben: Dann kommen wir jetzt zur letzten Frage, bevor wir dann zu unserer Abschlussfrage kommen. Als Berlin Art Law Society, wie unser Name schon verspricht, untersuchen wir vielfach auch die Schnittstelle von Kunst und Recht. Welche rechtlichen Fragen sind denn im Kulturmanagement bedeutsam und wer löst sie bei euch?

Thomas: Wir haben eine große und wunderbare Rechtsabteilung, die natürlich verantwortlich dafür ist, dass Verträge gemacht werden. Jede Kooperation mit jedem Künstler, mit jeder Künstlerin, mit jeder Kulturinstitution, mit jeder Kunstmesse beruht auf einem vertraulich zu behandelnden Vertrag. Außerdem redet der Einkauf und das Steuerrecht mit. Da geht es schon da los, dass wir natürlich diejenigen sind, die den Vertrag aufsetzen und nicht die Kulturinstitution, der Künstler oder die Künstlerin. 


Es geht darum, dass Fragen des Copyright geklärt sind. Das sind Dinge die insbesondere im Kulturbereich, gerade mit AI, immer wieder bei uns aufkommen. Bei den BMW-Art-Cars liegt das Copyright zum Beispiel bei den Künstlerinnen und Künstlern, bzw. bei den Verwertungsgesellschaften der VG Bild-Kunst oder den Nachlässen der zum Teil verstorbenen Künstlerinnen und Künstler. Da kommt es natürlich ab und zu immer wieder zu Gesprächen, inwiefern wir bestimmte Key-Visuals für welche Zwecke auch immer, nutzbar machen dürfen. Da stehen wir im Austausch und zahlen unseren Obolus an die VG Bild-Kunst, damit die dann wiederum an die Künstlerinnen und Künstler, deren Bilder wir abbilden, ausschütten können. 

Außerdem bewegen wir uns ständig im juristischen Bereich, wenn wir etwa seit 40 Jahren die älteste Public-Private-Partnership im Bereich Kultur, in dem Fall mit dem Kulturreferat der Stadt München haben und die darüber nachdenken, diesen e.V. umzuwandeln in eine gGmbH. Was bedeutet das dann im Sinne der rechtlichen Verantwortlichkeiten, die BMW daraus erwachsen könnten, wenn wir in einem wie auch immer gestalteten Aufsichtsrat einer gGmbH ein Mandat haben? Wäre es nicht sinnvoll, nur eine beratende Funktion in einem zu schaffenden Beirat zu haben, sodass uns keine finanziellen oder wie auch immer gearteten Verantwortlichkeiten entstehen? Auch bei solchen Themen sind wir immer darum bemüht, gemeinsam mit den Partnern die bestmögliche Lösung zu finden. 

Dann geht es um Künstlerinnen und Künstler, die auf uns zukommen, weil sie denken, wir hätten eine bestimmte Idee gestohlen. Natürlich versucht man wertschätzend miteinander umzugehen. Gleichwohl ist es wunderbar zu wissen, dass auch wenn ich das Gesicht nach draußen bin, für das Kulturengagement der BMW-Gruppe, ich eine wunderbare Rechtsabteilung habe, die im Falle von Auseinandersetzungen sehr gut dagegen lenken kann. Sich mit der Rechtsabteilung eines Unternehmens anzulegen ist wenig ratsam. Wenn es berechtigt ist, räumen wir Fehler selbstverständlich ein. – Da ist kein böser Wille dahinter. Es ist uns bisher noch nie etwas untergekommen, dass etwas nicht einwandfrei war. Denn man muss eine Sache wissen: „In The Court of Public Opinion ist es immer das Unternehmen, das gegen die Künstler*innen verliert. Sollte es jemals zu einer rechtlichen oder wie auch immer gearteten Auseinandersetzung kommen, ist klar, wo die Sympathien liegen. Das ist auch völlig verständlich. Umso wichtiger ist es, dass man juristisch fundierte Grundlagen für die Kooperationen schafft, die ganz klar auch immer vom Worst-Case-Szenario ausgehen.


Abschlussfrage: Lieber Thomas, was würdest du jemandem raten, der sich für Kulturmanagement interessiert?

Ruben: Vielen Dank für diesen Überblick. Dann kommen wir jetzt zu der schon versprochenen Abschlussfrage. Die letzte Frage steht ganz im Sinne unserer Vortragstradition, nach der wir für gewöhnlich am Ende unsere Vortragenden fragen, was Sie jemandem raten würden, der sich für eine Karriere im Kunstrecht interessiert. Das passt für dich nur bedingt. Was würdest du daher jemandem raten, der sich für „Kulturmanagement“ interessiert? Und unter Bezugnahme auf das von dir viel paraphrasierte Nietzsche-Zitat „um ein Blitz zu sein, muss man zunächst für eine lange Zeit eine Wolke sein“, das du im Rahmen deiner Lehrtätigkeiten deinen Student*innen erzählst, um diese zu ermutigen neben der Kunst zunächst noch einen anderen Beruf auszuüben - was kann man insbesondere tun, wenn man sich, wie viele von uns, noch in der juristischen Ausbildung befindet?

Thomas: Ich würde versuchen wollen beides zu beantworten. Einerseits Kunstrecht, obwohl ich da mehr abstrahieren muss und ich weniger darüber verstehe und zum anderen Kulturmanagement. Das wichtigste ist die Realisation, dass man verstehen muss, dass der Weg, den man geht, einer ist, den man sich selbst mit der Machete durch den Dschungel schlagen muss. Es gibt nicht den eigenen Weg, solange man ihn selbst nicht geht und das Leben macht nur Sinn im Rückblick. Dann kann man die Punkte miteinander verbinden und dann die wunderbar fehlerfreien Wikipedia-Einträge von Menschen lesen, die es vermeintlich geschafft haben. Wie viel Scheitern damit verbunden ist, wie viel Zeit zwischen diesen wichtigen Ereignissen, die eine Biografie ausmachen, auch in den Sand gesetzt wurde, darum geht es nie. Das sollte man wissen, aber es ist kein Trost, denn wenn man als junger Mensch anfängt zu studieren, jongliert man noch mit so vielen Unbekannten. Man ist unsicher, bei aller Sicherheit, die man schon an den Tag legen muss, sodass diese Sprüche wenig helfen, da man ja selber diese Erfahrungen noch machen muss. Die meisten Probleme lösen sich durch Arbeit und durch Eigeninitiative, neugierig bleiben, auf sich selber hören. Jedes Narrativ von jedem Menschen, wenn er oder sie rückblickt auf seine oder ihre Karriere, ist immer irgendeine Geschichte davon, wie man sich durchgebissen hat, wie man selber etwas gestartet hat, wie einem Leute gesagt haben, vergiss es. Steve Jobs hat einmal gesagt, „go the extra mile“, aber wie einsam und wie alleine man auf dieser „extra mile“ ist, darüber redet keiner. 


Und beim Kulturmanagement ist es wie bei der Kunst sonst auch: Das Erste, was ich immer den Studierenden sage, ist, dass sie sich einen Job suchen sollen, weil nur einer von 100 von der Kunst leben kann und dass man zumindest so lange einem anderen Job nachgehen sollte, bis man das kann. Und das ist auch mit dem Nietzsche-Zitat gemeint. Das sind 50.000 Leute, die weltweit Kulturmanagement studieren und die studieren das natürlich auch, weil die Eltern immer sagen, okay, gut, studiere bloß keine Geistwissenschaften, brotlose Kunst, sondern studiere irgendwas mit Management, dann kommst du zumindest irgendwo unter. Das ist vieles alter Wein in neuen Schläuchen und Etikettenschwindel. Und ich sage als jemand, der diesen Job jetzt seit über 20 Jahren macht, dass ich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen beobachte, die auch alle so lange oder länger schon in diesen Positionen sind, dass keiner, der so einen Posten jemals bekommt, den wieder loslässt. Du hast wenig Fluktuation auf diesem Gebiet. Und zu viele Leute, die das studieren. Aber das sollte keinen davon abhalten. Worauf ich hinaus will, ist, dass es für das Kulturmanagement keine Schule gibt, also nur insoweit, als man im Bestfall dieses „Learning by Doing“ so gut wie es irgendwie geht praktiziert. Das ist bei Jura mit Sicherheit anders, wo man einfach ein tiefes, fundamentales Wissen der Gesetze und ein Verständnis für alles mögliche haben muss. Da liegt der Unterschied zwischen Jura und Kulturmanagement: Wenn man davon etwas verstehen will, muss man wohin gehen und es erleben und nicht in Büchern darüber lesen.

Und man sollte seinen Leidenschaften so gut es geht folgen und nicht Dinge wegbrechen lassen wie tektonische Platten, weil irgendwann kommt man da nicht mehr hin. Man muss sich auch früh genug eingestehen, dass vielleicht das eigene Studium, was die Eltern wollten, dass man es studiert, vielleicht nicht das richtige ist. Da muss man lernen auch mal zu springen. Ich habe angefangen Kultur, Kunst und Literatur zu studieren aus einer tiefen Leidenschaft und für mich gab und gibt es bis heute nichts anderes. Während ich Menschen kenne, die Medizin, Jura und Wirtschaft studieren, von denen einige keine Leidenschaft hatten. Ich will nicht sagen, dass es das nicht auch gäbe. Ich rufe nur dazu auf, einmal kurz kritisch zu sein und nicht bloß etwas zu tun, weil die Eltern es schon getan haben oder weil das Umfeld sagt und nicht zu Unrecht, damit kannst du später Geld verdienen, mach das, beiß dich da durch, weil es eine gute Grundlage für gesellschaftliche Bedeutung und für das Gründen einer Familie ist. Aber die Leidenschaft dafür, die sehe ich vielfach weniger gegeben als bei Leuten, die sich dafür entscheiden, ohne jemals davon auszugehen, Geld dafür zu verdienen, Literatur oder Kunst zu studieren. Und ich habe lange darüber nachgedacht, dassUnternehmen eigentlich Menschen suchen, die aus Leidenschaft jedes Risiko, selbst das existenzielle Risiko eingegangen sind und nicht aus einer relativen Leichtigkeit, so schwer das Studium auch ist, sich auf die sichere Bank verlassen haben. Es ist etwas Gutes, wenn man so bescheuert ist, Risiken einzugehen und etwas zu studieren, dass einem später womöglich gar nicht mal erlaubt, im Supermarkt die Dinge auf die Kasse zu legen, die man gerne essen würde. Und deshalb würde ich mir wünschen wollen, dass jeder angehende Jurist, sich dahingehend noch mal abklopft, weil später im Leben ist das schwieriger zu justieren. Und die letzte Sache, die ich sagen will, ist, dass wenn man jung ist, ein Dach über dem Kopf hat und nicht an einer Krankheit darbt oder einen Todesfall im Umkreis hat und genug zu essen, dann hat man die verdammte Pflicht, an die Randgebiete seiner selbst zu gehen. Denn nur dort ist Erkenntnisgewinn und Persönlichkeitsbildung möglich. Für mich wichtig als Leitspruch ist, dass das „Sowohl-als -auch“ zählt und möglich ist und nicht das „Entweder-oder“. Man kann, so wie du es jetzt mit der Art Law Society machst, neben seinem Studium auch andere Dinge machen. Man muss sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren. Und dieses „Sowohl-als-auch“ ist wichtig, dass man diese Dinge in sich weiterhin kultiviert, bevor die absterben. Und deshalb ist dieser „Sowohl-als-auch-Ansatz“, der mit Sicherheit nicht im Zwischenmenschlichen funktioniert, aber zumindest im beruflichen ein wichtiger und ertragreicher.

*Ruben Schmitt ist Student der Rechtswissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin, Gründungsmitglied der Berlin Art Law Society e.V. und seit Oktober 2023 Vorstandsvorsitzender.

Das Interview fand am 12.03.2025 in der BMW Firmenzentrale in München statt.





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