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Blog



Designikonen malen – eine Rechtsverletzung? 


15.08.2025

Autor: Konstantin Berlage

Die französische Künstlerin Johanna Dumet gehört gerade zu den interessantesten Künstlerinnen in Berlin. Sie ist bekannt für verspielte Gemälde von üppig gedeckten Tafeln, Tarotkarten und Luxusmode. Sie transportiert damit ein Lebensgefühl der Kunst- und Modewelt, randgefüllt mit den guten Dingen im Leben. Champagnerflaschen, Paris Bar1-Aschenbecher – und immer wieder Handtaschen. In einem Interview auf Art She Says posiert Dumet selbstbewusst mit einem Bein auf einem Stuhl – im Hintergrund mehrere ihrer Malereien. Auf einer ist eine Louis Vuitton-Tasche im farbenfrohen Muster auf blauem Grund zu sehen. Die ikonische Handtasche ist sofort wiedererkennbar und auch das bunt gestaltete Muster auf der Tasche erinnert direkt an das vom japanischen Künstler Takashi Murakami entworfenen „Multicolor“-Muster.

(c) Art She Says


„Als Gesellschaft geben wir wahnsinnig viel Geld für diese [Logos] aus. Das ist eine Form der Kommunikation mit dem Rest der Welt. Egal, wo wir leben und wie alt wir sind – diese Logos sagen dem Rest der Welt: ‚Schaut her, ich habe eine teure Tasche, das bedeutet, ich habe Geld. Ich gehöre zu dieser Gruppe von Menschen und ich habe es geschafft!‘ Das interessiert mich, die Macht eines Logos, eines Markennamens.“ erklärt Dumet in dem Interview.2 Wie schon so einige Künstler*innen erleben mussten, ist auch in der Welt des Rechts die Macht der Logos groß und eine Marke oder ein besonders erfolgreiches Designprodukt auf die Leinwand zu bringen, kann dazu führen, vor Gericht gezerrt zu werden.3 Was als Hommage an eine geschätzte Designikone gelesen werden kann, ist aus juristischer Perspektive ein Minenfeld. Denn IP ist viel Geld wert und was viel Geld wert ist, wird umfassend geschützt und eifersüchtig verteidigt. Genau das Multicolor-Muster, welches Dumet hier dargestellt hat, hat zu einem Aufsehen erregenden Prozess geführt (dazu unten mehr). Deshalb möchten wir heute über eine vielleicht für manche überraschende, aber grundlegende Frage sprechen: Darf man eigentlich Kunst mit Designobjekten machen, ohne um Erlaubnis zu fragen? Genauer: Verletzt die Darstellung designrechtlich geschützter Produkte in der Kunst das sogenannte Designrecht – oder greift hier die Kunstfreiheit als Schutzschild?4

I.          Designs sind geschützt, auch auf der Staffelei?

1.          Ein starkes Recht für Designer*innen

Um zu verstehen, warum ein Bild mit einer Handtasche juristisch heikel sein kann, muss man das Schutzsystem für Designs verstehen. Das Designrecht5 gehört zum geistigen Eigentum. Es verleiht seinem Inhaber für bis zu 25 Jahre das exklusive Recht an dem Design eines Produkts. Im Fachsprech bezeichnet „Design“ „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich aus den Merkmalen, insbesondere den Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder den Werkstoffen des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt, einschließlich der Bewegung, der Zustandsänderung oder jeder anderen Art der Animation dieser Merkmale.“6 Gemeint ist also das Aussehen eines Produkts.

Als alleiniger Berechtigter an dem Design ist der Inhaber während der Schutzdauer mit einem Strauß an exklusiven Rechten ausgestattet. Dazu gehören beispielsweise das Recht zum Besitz, zum Verkauf oder zur Ein- oder Ausfuhr des Produkts, dessen Design geschützt ist.7 Auch schon die „Wiedergabe“ eines geschützten Designs auf einem Bildschirm oder einer Leinwand kann einen Verstoß begründen. Dies mag überraschen, weil die Designwiedergabe nicht in der Aufzählung des Gesetzes vorkommt. Anderseits zeigt das „insbesondere“ in beiden Normen, dass die aufgezählten Benutzungshandlungen nicht abschließend zu verstehen sind.8 Dass auch die Wiedergabe mitumfasst ist, ergibt sich dann durch einen Umkehrschluss aus der Zitatschranke in § 40 Nr. 3 DesignG, Art. 20 I lit. c) UGV.9 Denn wenn es eine besonders geregelte Erlaubnis für die Wiedergabe von Designs zu diesem Zweck gibt, muss das Wiedergaberecht logischerweise grundsätzlich dem Designinhaber zustehen. Künstler:innen müssen also wissen: Schon die bloße Darstellung eines Designs kann rechtlich heikel sein.

2.         Gibt es eine „designmäßige“ Benutzung?

Im Gegensatz zum Markenrecht braucht das Designrecht (wie auch das Urheberrecht) für das Feststellen einer in das ausschließliche Recht des Inhabers eingreifenden Handlung keine Nutzung im geschäftlichen Verkehr, um verletzt zu werden. Der geschäftliche Verkehr umfasst alle Handlungen, die mit einem Erwerbsziel und nicht nur im privaten Bereich erfolgen.10 Wer Kunst schafft, um diese später auf einer Messe auszustellen und zu verkaufen, handelt im geschäftlichen Verkehr. Für die vor den Augen der Öffentlichkeit geschützte Malerei, um sich das Werk später nur an die eigene Wand zu hängen, greift zwar die Schranke für Privatnutzungen nach § 40 Nr. 1 DesignG, Art. 20 I lit.a) UGV. Dass es aber so einer besonderen Erlaubnis gesetzessystematisch überhaupt bedarf, zeigt, dass das Designrecht auch diese Handlung grundsätzlich umfasst. Ganz schön stark also und irgendwie etwas besorgniserregend für Kunstschaffende, die von ihrer Kunst auch leben wollen.11

Das Markenrecht kennt als weiteres, schon seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung anerkanntes, Korrektiv das Kriterium der sog. markenmäßigen Benutzung. Marken existieren als Herkunftshinweis, um Verbrauchern die Unterscheidung zwischen verschiedenen Waren und Dienstleistungen und der hinter diesen stehenden Unternehmen zu ermöglichen.12 Prinzipiell braucht es, wenn es sich nicht um eine bekannte Marke handelt, die auch hinsichtlich weiterer Markenfunktionen geschützt wird,13 also einer Benutzung der Marke als Herkunftshinweis. Dies ist bei der bloßen Wiedergabe in einem Kunstwerk eigentlich schon grundsätzlich zweifelhaft, kann aber nicht sicher ausgeschlossen werden.14

Im Designrecht diskutiert die Literatur noch immer, ob es auch hier ein Erfordernis der „designmäßigen Benutzung“ geben, also nach einer Verletzung der Funktion des Designrechts gefragt werden müsste.15 Das Designrecht folgt dem sog. design approach, das Design wird als Marketinginstrument geschützt und die Investition in gutes Design in diesem Sinne soll sich lohnen.16 Daher wollen einige Stimmen solche Handlungen aus dem Designrecht ausnehmen, die die Marketingwirkung des Designs nicht beeinträchtigen können, weil sie sich auf den Vertrieb des entsprechenden Produkts nicht negativ auswirken können. Die Wiedergabe als Filmrequisite soll beispielsweise nicht hierunter fallen.17 Man kann auch darauf hinweisen, dass Designprodukte in Wiedergaben oft benutzt werden, um von dessen Marketingwirkung zu profitieren.18 Hier könnte auch die Wiedergabe einer Designhandtasche auf einem Gemälde oder einem Designsessel auf einem Poster umfasst sein, weil die abgebildeten Produkte zu der Attraktivität des Werkes beitragen. Außerdem spricht für eine solche Auslegung, die von einer Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Marketingfunktion ausgeht, der Vergleich mit den anderen ausdrücklich genannten Benutzungsformen. Wäre wirklich jede Benutzung umfasst, hätte man sich den Katalog auch sparen können.19

Die herrschende Meinung lehnt die einschränkende Auslegung des Designrechts im Sinne einer „designmäßigen Benutzung“ aber ab, was vor allem damit begründet, dass es sich bei dem Designrecht um Leistungsschutz handele.20 Auch rein künstlerische Darstellungen können deshalb unter das Verbot der Wiedergabe fallen. Ausdrücklich wurde dies in der Rechtsprechung, soweit erkennbar, aber noch nicht thematisiert. Es lässt sich also festhalten: die Wiedergabe eines Designs, auch in einem Kunstwerk, greift grundsätzlich in das Designrecht des Inhabers ein. Wenn keine ausdrückliche Erlaubnis des Inhabers vorliegt, müsste eine gesetzliche Erlaubnis (Schranke genannt) eingreifen, sonst wird aus dem Eingriff in das Designrecht eine Designrechtsverletzung.21 Folge ist, dass der Künstler abgemahnt werden könnte und gegebenenfalls auch schadenersatzpflichtig wäre. Kann das wirklich stimmen?

II.       Kunstfreiheit als Verteidigung

1.          Was ist die Kunstfreiheit?

An dieser Stelle könnten sich Kunstschaffende auf die Kunstfreiheit berufen (Art. 5 III 1 GG, Art. 10 I EMRK, Art. 13 Satz 1 EU-GRCh). Die Kunstfreiheit schützt sowohl die Schaffung von Kunstwerken (Werkbereich), als auch dessen Verbreitung (Wirkbereich). Es stellt sich daher die Frage, ob die Kunstfreiheit unmittelbar als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden kann. Die Grundrechte sind primär Abwehrrechte gegen den Staat. Sie sollen den Bürger vor staatlichen Eingriffen schützen.22 Unmittelbar gelten sie zwischen den Bürgern nicht, sondern nur in Ausnahmefällen.23 Schon lange ist aber anerkannt, dass diese Sichtweise der Rolle von Grundrechten in einem demokratischen Rechtsstaat nicht gerecht wird: die Grundrechte werden daher auch als „objektive Werteordnung“ verstanden, die in der Auslegung aller Gesetze zu berücksichtigen sind.24 Denn auch, wenn ein Gericht zwischen zwei Bürgern ein Urteil fällt, muss es zwangsläufig einen von beiden belasten, womit wieder eine klassische Grundrechtssituation vorliegt. Dies nennt man „mittelbare Drittwirkung“ der Grundrechte.25 Das Bundesverfassungsgericht stellt daher zu Art. 5 III 1 Alt. 1 GG fest: „Das Grundrecht ist […] zugleich eine objektive Entscheidung für die Freiheit der Kunst, die auch im Verhältnis von Privaten zueinander zu berücksichtigen ist, insbesondere wenn unter Berufung auf private Rechte künstlerische Werke durch staatliche Gerichte verboten werden sollen.“26

2.         Beispielsfall: „Darfurnica“

a.         Sachverhalt

Ein Beispiel für einen sehr interessanten Fall, in dem es um so eine Situation ging, ist das 2011 ergangene Urteil „Darfurnica“ des Gerichts Den Haag.27 Die aus Dänemark stammende und in den Niederlanden tätige Künstlerin Nadia Plesner hatte in ihrem politisch motivierten Gemälde „Darfurnica“ ein hungerndes afrikanisches Kind mit einer Luxus-Handtasche abgebildet, die der berühmten Louis-Vuitton-Tasche „Audra“ mit dem uns schon bekannten Multicolor-Muster nachempfunden war. Dieses Kind mit Hund und Handtasche bildete separat auch das eigene Werk „Simple Living“, welches einzeln auf T-Shirts gedruckt und zugunsten von Projekten in Darfur im Sudan verkauft wurde.

(c) Nadia Plesner, Darfurnica, 2010, Öl auf Leinwand, 350 x 776 cm.


Die Künstlerin gibt als Motivation für ihr an Picassos „Guernica“ erinnernde Werk auf Ihrer Webseite an: 

„Ich habe eine Zeitung gelesen. Auf einer Seite stand ein sehr kleiner Bericht über die Lage in Darfur. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein ganzseitiger Bericht über die Inhaftierung von Paris Hilton zu lesen. Ich hatte mich schon vorher darüber geärgert, wie manche Massenmedien zwischen Weltgeschehen und Promi-Klatsch Prioritäten setzen, aber als ich das so sah, kam mir die Idee, etwas zu tun. […] Mein Gedanke war: Da es anscheinend ausreicht, nichts anderes zu tun, als Designertaschen und kleine Hunde in rosa Kleidung zu tragen, um in die Nachrichten zu kommen, ist es vielleicht einen Versuch wert, sich für Menschen einzusetzen, die tatsächlich Aufmerksamkeit verdienen und brauchen. […] Ich hatte gehofft, dass die Zeichnung das Bewusstsein für Darfur schärfen und eine Debatte über die Sprache der Massenmedien und das manchmal verzerrte Verhältnis zwischen kleinen und großen Weltnachrichten auslösen würde.“28

Louis Vuitton hielt an dem von dem auch in „Simple Living“ dargestellten Kind getragenen Multicolor-Taschenmuster ein registriertes Gemeinschaftsgeschmacksmuster inne (also ein in der gesamten Europäischen Union geltendes Designrecht).

Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 00084223-0001


Aus diesem Recht erwirkte Louis Vuitton nach einer Ausstellung Plesners in Kopenhagen zunächst eine einstweilige Verfügung wegen Designrechtsverletzung gegen Nadia Plesner. Dabei ging es Louis Vuitton vor allem um den Verkauf der T-Shirts mit dem Aufdruck von „Simple Living“.29 Plesner wehrte sich gegen das Eilverfahren vor dem Gericht Den Haag und berief sich, weil ihr keine ausdrückliche einfachgesetzliche Regelung zur Seite stand, auf ihre Grundrechte der Kunstfreiheit bzw. der Meinungsfreiheit. Louis Vuitton stellte dem das Grundrecht auf Eigentum entgegen, denn auch geistiges Eigentum ist grundrechtlich geschützt.

b.         Das rechtliche Problem

Louis Vuitton hatte interessanterweise die Wahl, auf welcher Grundlage es ein Verbot der Verwendung des Musters der Tasche „Audra“ verbieten könnte. Es hätte seinen Anspruch gegen Nadia Plesner entweder auf das Urheberrecht, das Markenrecht oder eben das Designrecht an der Tasche stützen können. Louis Vuitton entschied sich für Letzteres und erhob eine Unterlassungsklage, die sich ausschließlich auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster für das Multicolor-Design der Handtasche stützte. Louis Vuitton machte geltend, dass die Verwendung des Motivs der Audra-Handtasche durch Plesner dessen Ruf beeinträchtige. Dies macht deshalb stutzig, weil das Designrecht seinen Hauptzweck darin hat, dem Inhaber ein ausschließliches Recht zur Benutzung der eingetragenen äußeren Erscheinungsform eines Erzeugnisses zu gewähren. Als solches dient das Designrecht, wie oben erwähnt, also dem Schutz einer Produktgestaltung für Produkte, nicht aber auch dem Schutz des Ansehens dieser Gestaltung.30 Diese Frage ließ das Gericht aber offen, da es im Eilverfahren letztlich eine Abwägung zwischen dem Eigentumsschutz Louis Vuittons und der Kunstfreiheit Nadia Plesners vornahm; letztere überwog für das Gericht.31

c.         Kunstfreiheit überwog Eigentumsschutz

Das Haager Gericht stellte als erstes fest, dass es „weit oben auf der Prioritätenliste einer demokratischen Gesellschaft“ sei, dass „dass Plesner ihre Meinung durch Kunst kundtun kann.“32 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) versteht die Kunstfreiheit als Ausfluss der Meinungsfreiheit und als eine spezielle Form der Meinungsäußerung. In den Worten des EGMR tragen diejenigen, die Kunstwerke schaffen, aufführen, verbreiten oder ausstellen, zum Austausch von Ideen und Meinungen bei, der für eine demokratische Gesellschaft unerlässlich ist.33 Die Meinungsfreiheit genießt deshalb besonders großen Schutz und kann besonders schwer eingeschränkt werden.34 Künstler genießen deshalb ebenfalls einen erheblichen Schutz ihrer Freiheit, der auch Kunst einschließt, die „beleidigen, schockieren oder stören könnte“.35 Nadia Plesners Verwendung der Louis-Vuitton-Tasche diente nicht nur einem kommerziellen Zweck, sondern wurde von dem Gericht als funktionales und angemessenes Mittel angesehen, um ihre sozialkritische Botschaft zu vermitteln.36 In ihrem Werk zeigte Plesner nicht nur die Louis-Vuitton-Tasche, sondern auch ein anderes Luxusbild in Form eines rosa gekleideten Chihuahuas und anderer Medienpersönlichkeiten. Plesner unterstellte Louis Vuitton keine Verantwortung für die Situation in Darfur.37

Die Tatsache, dass es sich bei Louis Vuitton um ein bekanntes Luxusunternehmen handelt, dessen Produkte ein hohes Ansehen genießen, bedeutete, dass Louis Vuitton eine kritische Nutzung eher hinnehmen musste als andere Rechteinhaber.38 Die Gründe hierfür liegen darin, dass Personen des öffentlichen Lebens in der Regel Schlüsselpositionen in der Gesellschaft einnehmen, zweitens, dass sie selbst oft den Zugang zu den Medien suchen und sich leicht verteidigen können; drittens, dass sie oft diejenigen sind, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihr Produkt und ihr Image lenken; und viertens, dass man das Entstehen eines „chilling effect“ in der Öffentlichkeit befürchten könnte, wenn Personen des öffentlichen Lebens Aussagen über sich selbst verbieten können.39 Solche Ängste können sich negativ auf die Kreativität und kulturelle Vielfalt auswirken. Kunstschaffende, die potenzielle Rechtsstreitigkeiten vermeiden möchten, könnten sonst davon Abstand nehmen, Werke auf der Grundlage bereits existierenden Materials zu schaffen, oder die Verwendung bereits existierenden Materials auf ein absolutes Minimum beschränken.40 Eine Louis Vuitton-Tasche steht im kulturellen Diskurs, wie Johanna Dumet im Interview für Art She Says erinnert, eben einfach für „mehr“, als ein Beutel für die Bibliothek einer juristischen Fakultät. Wenn Design ikonisch wird, geht es mit diesem Status zwangsläufig einher, dass mehr Personen sich zu diesem Design Meinungen machen und sie äußern.41 Die blickfangmäßige Verwendung der Audra-Tasche konnte an dieser Einschätzung nichts ändern.42

III.     Ausblick

1.          Die Große Kammer-Trilogie des EuGH

Die rechtliche Situation hat sich seit dem Erlass des „Darfurnica“-Urteils etwas geändert. Die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (so hieß die UGV zuvor) und die DesignRL wurden 2024 reformiert. Die Begründung für beide Rechtsakte stellt nun ausdrücklich fest: Eine Benutzung eines Designs durch Dritte zu künstlerischen Zwecken sollte als rechtmäßig betrachtet werden, sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht. Außerdem sollte[n beide Rechtsakte] so angewendet werden, dass den Grundrechten und Grundfreiheiten, insbesondere dem Recht auf freie Meinungsäußerung, in vollem Umfang Rechnung getragen wird.43 Dies ist deshalb besonders wichtig, weil der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urheberrecht entschieden hat, dass die direkte Berufung auf Grundrechte als Ausnahmen zum Urheberrecht nicht möglich ist. Diese müssten stattdessen, um zu viele Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu verhindern, im Rahmen der bereits gesetzlich geregelten Ausnahmen zum Urheberrecht angemessen berücksichtigt werden.44 Es spricht vieles dafür, dass dies auch bei den anderen EU-rechtlich harmonisierten Geistigen Eigentumsrechten so gilt, also im Marken- und Designrecht.45

2.         Kunstspezifische Auslegung der Zitatschranke

Das heißt, dass die Kunstfreiheit in der Auslegung der schon erwähnten Ausnahmen zum Designrecht ihre Wirkung entfalten muss. Bisher konnte in diesen Fällen nur die Zitatschranke herhalten:46 Nach § 40 Nr. 3 DesignG bzw. Art. 20 I lit. c UGV können Rechte aus einem eingetragenen Design nicht gegenüber Wiedergaben zum Zwecke der Zitierung oder Lehre geltend gemacht werden, vorausgesetzt, solche Wiedergaben sind mit den Gepflogenheiten des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbar, beeinträchtigen die normale Verwertung des eingetragenen Designs nicht über Gebühr und geben die Quelle an.

Der BGH geht in Anlehnung an § 51 UrhG bislang davon aus, dass ein designrechtliches Zitat nur dann zulässig ist, wenn eine innere Verbindung zwischen dem verwendeten fremden Werk und eigenen Gedanken des Zitierenden hergestellt wird und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen des Zitierenden dient.47 Designwiedergaben zu Marketingzwecken seien nicht umfasst.48 Dies ist ziemlich streng und stellt besonders visuelle Künstler*innen vor ein Problem. Zwar mag das Werk eine Aussage treffen, „ausbuchstabiert“ ist diese aber nicht. Das ist daher ein Risiko für Künstler*innen, die sich hierauf berufen möchten. Das reicht nicht.

Hilfreich war es daher, dass der EuGH später eine großzügigere Auslegung befürwortet hat, bei der es genügt, wenn das wiedergegebene Design als Grundlage für eigene Erläuterungen oder Kommentare dient.49 Nach beiden Auslegungsvarianten ist die Wiedergabe in einem Kunstwerk jedenfalls dann erfasst, wenn damit eine kritische Stellungnahme zu einem Thema verbunden ist.50 Eine kunstspezifische Auslegung der Zitatschranke erfordert, dass nicht nur klassische „Erläuterungen“ und „Kommentare“, sondern auch künstlerische Auseinandersetzungen mit Werken Dritter, wenn diese sich funktional in die künstlerische Gestaltung und Intention des Werkes einfügt und damit als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage erscheint.51 Damit auch neutrale oder positive Aussagen, wie die obige Darstellung der Multicolor-Tasche von Louis Vuitton durch Johanna Dumet erfasst sein können, muss die Auseinandersetzung nicht notwendigerweise „kritisch“ sein.

Zum nächsten Erfordernis: Die Wiedergabe ist mit den Gepflogenheiten des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbar, wenn den berechtigten Interessen des Designinhabers nicht in unlauterer Weise zuwidergehandelt wird.52 Die Voraussetzung, dass das Designzitat die normale Verwertung des geschützten Designs nicht über Gebühr beeinträchtigt, bedeutet, dass die wirtschaftlichen Interessen des Designinhabers an der normalen Verwertung der Designprodukte nicht beeinträchtigt werden dürfen.53 Dies bedeutet, z.B. dass dem Designinhaber nicht unnötig erschwert wird, die Produkte, die dem geschützten Design entsprechen, zu bewerben und zu vertreiben, etwa, weil diese schlechtgemacht werden.54 Bei künstlerischem Schaffen sollte man die Einhaltung der Gepflogenheiten des redlichen Geschäftsverkehrs grundsätzlich vermuten.55

Für die zuletzt nötige Quellenangabe verlangt der EuGH, dass es einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher leicht möglich sein muss, festzustellen, von welchem Unternehmen die dem geschützten Design entsprechende Ware stammt.56 Damit ist der Hersteller des Produkts und nicht der Entwerfer des Designs gemeint.57 Dies dürfte eher keine nennenswerte Hürde sein, weil bei Designikonen jedem Betrachter klar ist, von wem das Objekt stammt. Speziell im Fall von Luxushandtaschen gibt es ja auch draufgedruckte Markenzeichen zu Genüge. Andererseits spricht das Erfordernis einer Quellen-“Angabe“ für ein Plus zur bloßen Wiedergabe des Designs.

3.         Neue Schranken für beschreibende Benutzungen

Die Zitatschranke wurde jetzt auf europäischer Ebene ergänzt um eine Schranke für referierende Benutzung, also Nutzungen zum Zweck, „ein Produkt als Design des Inhabers zu identifizieren oder darauf zu verweisen“58 und die Benutzung zum Zweck der Kommentierung, Kritik oder Parodie.59 Diese Erweiterung muss für das DesignG noch umgesetzt werden. Zwar ist bei diesen neuen Regelungen naturgemäß vieles noch unklar.60 Tendenziell bringt das Designpaket aber mehr Rechtssicherheit für Kunstschaffende, die geschützte Designs darstellen wollen, weil ihnen jetzt mehrere Verteidigungsmöglichkeiten offenstehen. 

4.         Fazit

Zusammenfassend kann man vielen Kunstschaffenden also vorsichtig Entwarnung geben: Ja, Wiedergaben von geschützten Designs in Werken greifen in das Designrecht ein, Sie dürften aber oft trotzdem erlaubt sein. Für die Praxis empfiehlt es sich, die eigene künstlerische Absicht zu dokumentieren, den Kontext der Darstellung klar zu machen und – wo möglich – den Bezug zu einem abgebildeten Design durch Quellenangaben zu verdeutlichen. Wer unsicher ist, sollte sich qualifizierten Rechtsrat bei Anwält*innen suchen. Das ist nicht nur eine gute Nachricht für Kunstschaffende, sondern auch für das Publikum, die sich an ihren Werken weiter erfreuen können. Speziell für Johanna Dumet geht dies z.B. auf der Berlin Art Week bei der Galerie KÖNIG, wo sie eine Einzelschau haben wird.



[1] Bekannt für die deutsche Kunstrechts-Community auch aus einem Urteil zum Rechtsstreit zwischen Götz Valien und dem Nachlass von Martin Kippenberger, LG München I GRUR-RS 2023, 19573.

[2] Johanna Dumet, in “From Paris to Berlin: Johanna Dumet’s Playful Imitations on Luxury Fashion” (abrufbar unter https://artshesays.com/from-paris-to-berlin-johanna-dumets-playful-imitations-on-luxury-fashion/, zuletzt abgerufen am 3.8.2025), Übersetzung des Autors.

[3] Ein anderes interessantes Beispiel, in dem es um geschützte Logos in Form von Markenrechten ging, ist das Urteil des Benelux-Gerichtshofs zum belgischen Maler Cédric Peers, der in seiner Serie „Damn Pérignon“ die Konturen der Dom Pérignon-Flasche mit Label darstellte, s. https://ipkitten.blogspot.com/2019/11/benelux-court-of-justice-rules-on-use.html.

[4]
Ähnliche Fragen stellen sich insbesondere aus markenrechtlicher Sicht, weil bekannte Marken u.a. auch gegen Rufausbeutung geschützt sind, vgl. § 14 II 1 Nr. 3, Art. 9 II lit. c) UMV. Sollte ein Produkt urheberrechtlich geschützt sein (was bei angewandter Kunst oft problematisch ist), gibt es ähnliche Probleme. Dieser Blogpost wird sich aber nur mit der designrechtlichen Perspektive auseinandersetzen.

[5] Bestehend aus dem Designgesetz (DesignG), der diesem zugrunde liegenden Designrichtlinie (DesignRL) und der Unionsgeschmackmusterverordnung (UGV).

[6] § 1 Nr. 1 DesignG, Art. 2 Nr. 3 DesignRL, während Art. 3 Nr. 1 UGV immer noch den älteren Begriff „Geschmacksmuster benutzt“.

[7] § 38 I DesignG, Art. 19 I UGV.

[8] BGH GRUR 2011, 1117 Rn. 30 – ICE.

[9] Implizit in EuGH GRUR 2017, 1120 Rn. 68ff. – Nintendo/Big Ben; explizit in BGH GRUR 2011, 1117 Rn. 30 – ICE.

[10] vgl. zum Markenrecht EuGH GRUR 2007, 971 Rn. 17 – Céline; Dies wird im Designrecht gleich verstanden, Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, Designgesetz, GGV 7. Auflage 2023, § 40 Rn. 3.

[11] Ähnlich Senftleben IIC 2017, 683 (702).

[12] EuGH GRUR 2003, 55 Rn. 48 – Arsenal Football Club.

[13] EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 48 – L’Oréal/Bellure.

[14] Hierzu Senftleben IIC 2022, 567 (575f.).

[15] Starcke GRUR 2018, 1102 (1103).

[16] Erwägungsgrund 7 UGV; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 50 – Cofemel; EuGH GRUR 2009, 867 Rn. 78 – FEIA; Kur GRUR 2002, 661 (662) spricht von dem Verleihen einer „Erlebnisqualität“ zugunsten des Produkts.

[17] Starcke GRUR 2018, 1102 (1103).

[18] Starcke GRUR 2018, 1102 (1104).

[19] Cornels, Die Schranken des Designrechts, 2015, 80.

[20] BeckOK Designrecht/Thiele, Art. 19 UGV Rn. 25; Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, Designgesetz, GGV, 7. Auflage 2023, Art. 19 GGV Rn. 3.

[21] Je nachdem, wie das Design angemeldet wurde, kann möglicherweise eingewandt werden, dass die Wiedergabe im Kunstwerk einen anderen Gesamteindruck hervorruft und damit aus dem Schutzbereich des Designrechts fällt, § 38 II 1 DesignG, vgl Bently/Sherman/Gangjee/Johnson, Intellectual Property Law, 6. Auflage, 2022, S. 802.

[22] BVerfG NJW 2008, 39 Rn. 61 – Esra.

[23] Im Umkehrschluss zu Art. 9 Abs. 3 GG.

[24] BVerfG GRUR 1958, 254 (257) – Lüth.

[25]BeckOK Grundgesetz/Hillgruber, Art. 1 Rn. 73.1.

[26] BVerfG NJW 2008, 39 Rn. 62 – Esra

[27] Gericht Den Haag, Urteil vom 4.5.2011, 389526/KG ZA 11-294 – Darfurnica.

[28] Nadia Plesners Website, http://www.nadiaplesner.com/simple-living--darfurnica, zuletzt abgerufen am 27.7.2025.

[29] Ob der Verkauf des Werkes „Darfurnica“ selbst untersagt werden sollte, war zunächst unklar und wurde dann von Louis Vuitton in der mündlichen Verhandlung verneint, Darfurnica [Nr. 27] Rn. 4.1.

[30] Daher kritisch Bently/Sherman/Gangjee/Johnson, Intellectual Property Law, 6. Auflage, 2022, S. 811.

[31] Darfurnica [Nr. 27] Rn. 4.7.

[32] Ebenda Rn. 4.8.

[33] EGMR BeckRS 2007, 152568 Rn. 26 – Vereinigung Bildender Künstler/Österreich.

[34] Ebenda.

[35] Vereinigung Bildender Künstler/Österreich [Nr. 33] Rn. 26, 33.

[36] Darfurnica [Nr. 27] Rn. 4.8.

[37] Ebenda.

[38] EGMR NJW 2006, 1255 Rn. 94 – Steel und Morris/Vereinigtes Königreich („McLibel“).

[39] Sakulin, zitiert in Guibault JIPITEC 2011, 236 (237). 

[40] Senftleben IIC 2017, 683 (703).

[41] Ebenso Philipps, Iconic IP and freedom of expression: the battle lies ahead, The IPKat, https://ipkitten.blogspot.com/2011/03/iconic-ip-and-freedom-of-expression.html, zuletzt abgerufen am 27.7.2025.

[42] Darfurnica [Nr. 27] Rn. 4.9.

[43] Erwägungsgrund 31 DesignRL und Erwägungsgrund 18 UGV.

[44] EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 65 – Pelham; EuGH GRUR 2019, 934 Rn. 64 – Funke Medien; EuGH GRUR 2019, 940 Rn. 49– Spiegel Online.

[45] Zum Designrecht z.B. Hofman GRUR 2020, 915 (918); Kur/Endrich-Laimböck/Huckschlag GRUR Int. 2023, 557 (561) zum Markenrecht auch Todorski JIPLP 2024, 809 (810).

[46] vgl. Kur 2024, 1264 (1271).

[47] ICE [Nr. 9] Rn. 46.

[48] Ebenda Rn. 48.

[49] Nintendo/BigBen [Nr. 9] Rn. 76.

[50] Starcke GRUR 2018, 1102 (1105).

[51] Vgl. BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3

[52] Nintendo/BigBen [Nr. 9] Rn. 79.

[53] Ebenda Rn. 82.

[54] Starcke GRUR 2018, 1102 (1106).

[55] So Senftleben IIC 2022, 567 (592) zu der Parallelvorschrift im Markenrecht.

[56] Nintendo/Big Ben [Nr. 9] Rn. 84.

[57] Starcke GRUR 2018, 1102 (1107).

[58] Art. 18 I lit. d) DesignRL; Art. 20 I lit. d) UGV.

[59] Art. 18 I lit. e) DesignRL; Art. 20 I lit. e) UGV.

[60] Einige Fragen werden behandelt in Kur, GRUR 2024, 1264 (1271f.).